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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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möglich? Sie war fast noch ein Baby!»
    «Wenn man vom Blitz getroffen wird, vergisst man das wahrscheinlich sein Leben lang nicht.»
    Am nächsten Tag willigte Richard Anning ein, mir für fünfzehn Schilling einen Ausstellungskasten zu zimmern. Es war die erste einer ganzen Reihe von Vitrinen, die ich mir mit der Zeit zulegen sollte, aus der Hand von Richard Anning kamen jedoch nur noch vier, dann verstarb er. Es gab Kästen von besserer Qualität und Machart, in denen die Schubladen einfach herausglitten, ohne zu klemmen, und die Fugen nicht nach einer Trockenperiode neu geklebt werden mussten. Doch da ich wusste, dass er die Sorgfalt, die seinen Schränken fehlte, in den Fossilienunterricht seiner Tochter steckte, akzeptierte ich die Mängel seiner Handwerksarbeit.
    Schon bald war Mary nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Sie reinigte meine Fossilien, und als sie entdeckte, dass ich Fischfossilien am liebsten mochte, verkaufte sie mir die Exemplare, die sie mit ihrem Vater gefunden hatte. Manchmal begleitete sie mich an den Strand, wenn ich selbst suchen ging. Ich gab es zwar nicht zu, doch ich fühlte mich in ihrer Begleitung sicherer, da ich immer Angst hatte, von der Flut abgeschnitten zu werden. Mary fürchtete die Gezeiten nicht; sie hatte ein sicheres Gespür für ihr Kommen und Gehen, das sich bei mir niemals einstellte. Wahrscheinlich muss man dazu so nah am Meer aufwachsen, dass man vom Fenster aus hineinspringen könnte. Während ich vor jedem Strandspaziergang die Gezeitentabelle in unserem Jahresalmanach konsultierte, war Mary immer genau über den Meeresstand informiert und konnte mir sagen, ob die Flut kam oder ging, ob Nipp- oder Springflut herrschte und wie viel Strand zu welchem Zeitpunkt zugänglich war. Allein ging ich nur bei Ebbe an den Strand; dann wusste ich, dass ein paar sichere Stunden vor mir lagen. Allerdings vergaß ich trotzdem oft die Zeit, was bei der Fossilienjagd leicht geschehen kann, und wenn ich schließlich kehrtmachte, um heimzugehen, sah ich, wie das Meer mir schon wieder entgegenkroch. Mary hingegen hatte die Meeresbewegungen immer im Kopf.
    Auch aus anderen Gründen schätzte ich Marys Gesellschaft. Ich lernte viel von ihr, zum Beispiel, dass die See gleichgroße Steine in einzelne Streifen am Strand sortiert, in denen man wiederum unterschiedliche Fossilien findet. Sie zeigte mir die vertikalen Risse in den Klippen, die Warnzeichen für Erdrutsche waren, und wo Pfade auf die Klippen hinauf führten, über die wir uns in Sicherheit bringen konnten, wenn die Flut uns den Rückweg abschnitt.
    Außerdem war es praktisch, eine Begleitung zu haben. In mancherlei Hinsicht war Lyme liberaler als London. Ich konnte zum Beispiel allein in die Stadt gehen, ohne mich, wie es in London der Fall gewesen wäre, von meinen Schwestern oder Bessy begleiten lassen zu müssen. Der Strand war jedoch oft menschenleer. Nur gelegentlich begegneten mir ein paar Fischer, die nach ihren Krabbenfallen schauten, Schrott- und Treibholzsammler, hinter denen ich aber Schmuggler vermutete, oder Reisende, die bei Ebbe von Charmouth nach Lyme oder umgekehrt unterwegs waren. Für eine Dame schickte es sich nicht, allein an den Strand zu gehen, noch nicht einmal nach den recht freizügigen Maßstäben Lymes. Später, als ich älter und in der Stadt bekannter war, mich außerdem nicht mehr kümmerte, was andere über mich dachten, ging ich oft und gern allein zum Strand, doch in jenen ersten Tagen zog ich Gesellschaft vor. Manchmal konnte ich Margaret oder Louise zum Mitkommen überreden, sie fanden sogar ab und zu Fossilien. Auch wenn Margaret sich nicht gerne die Hände schmutzig machte, freute sie sich, wenn sie Brocken von Eisenpyrit entdeckte, weil dieses Katzengold so schön glitzerte. Louise fand Steine im Vergleich zu den von ihr bevorzugten Pflanzen leblos, allerdings kletterte sie manchmal in die Klippen, um bestimmte Seegrashalme mit ihrer Lupe zu untersuchen.
    Besonders oft gingen wir an den etwa eine Meile langen Strand zwischen Lyme und Charmouth. Geht man am Haus der Annings vorbei in Richtung Osten zum Ende des Gun Cliffs, gelangt man an eine Stelle, wo die Küstenlinie eine scharfe Linkskurve macht, so dass der Strand dahinter von der Stadt aus nicht mehr zu sehen ist. Dort ziehen sich über mehrere hundert Meter die Church Cliffs die Küste entlang. Sie bestehen aus so genanntem Blauen Lias, von Schieferschichten durchsetzte Kalksteinbänke, die durch ihr bläulich graues

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