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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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es tat mir kein bisschen leid.
    «Ihr beiden bleibt hier, bis die Flut kommt», kommandierte Miss Elizabeth. «Haltet euch in Sichtweite des Fundes auf, damit wir sicher wissen, ob William Lock nicht zurückkommt und ihn entdeckt. Ich werde zum Cobb gehen und den Männern den Auftrag geben, morgen das Krokodil auszugraben – wenn es denn ein Krokodil ist. Aber was könnte es sonst sein?»
    Ich zuckte die Schultern. Ihre Frage verursachte wieder das mulmige Gefühl bei mir, aber warum, wusste ich nicht.
    «Auf jeden Fall ein von Gott geschaffenes Lebewesen», bemerkte Joe.
    «Manchmal frage ich mich …»
    «Was, Ma’am?»
    Miss Elizabeth sah Joe und mich an. In dem Moment schien ihr aufzufallen, dass sie mit uns sprach, und sie war sofort wieder normal. Sie schüttelte den Kopf. «Nichts. Es ist einfach ein etwas ungewöhnlich aussehendes Krokodil.» Sie warf einen letzten Blick auf den Schädel und machte sich auf den Weg.
    Am nächsten Nachmittag kamen die Zwillingsbrüder Davy und Billy Day zum Graben. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt musste Niedrigwasser sein, was ungünstig war, denn wenn nachmittags Ebbe herrschte, strömten mehr Menschen an den Strand als morgens oder abends. Lieber hätten wir in aller Einsamkeit gearbeitet, zumindest bis wir wussten, was genau wir da gefunden hatten.
    Die Days waren Steinbrucharbeiter, die Straßen bauten und Ausbesserungsarbeiten am Cobb ausführten. Sie hatten Brustkörbe wie Schränke, dicke Arme und kurze stämmige Beine. Beim Gehen warfen sie sich in die Brust und kniffen die Pobacken zusammen. Sie redeten nicht viel und zeigten auch keinerlei Überraschung, als sie vor dem Krokodil standen, das sie mit seinem Untertassenauge aus der Klippenwand anstarrte. Für sie war es einfach nur ein ganz normales Stück Arbeit, ein Steinblock, wie sie ihn zum Pflastern oder Mauern brauchten, die Riesenbestie darin interessierte sie nicht.
    Die Days fuhren mit den Händen über die Steinfläche im Umkreis des Schädels und suchten nach natürlichen Spalten, in die sie ihre Keile treiben konnten. Ich verhielt mich still, denn im Steinbrechen hatten sie mehr Erfahrung als ich. Im Lauf der Jahre sollte ich noch viel von ihnen lernen, denn mit der Zeit wurden die Funde, die ich aus der Klippenwand oder den bei Ebbe freiliegenden Felsbändern holte, immer größer. Die Days klopften noch viele Riesentiere für mich aus dem Stein, die ich allein nicht freibekommen hätte.
    Es wurde schon früh dunkel, und die Flut kroch heran. Die Days hatten nur einen halben Tag lang frei, trotzdem ließen sie sich Zeit bei der Arbeit. Vor jedem einzelnen Schlag überprüften sie die Felsoberfläche. Wenn sie sich endlich auf eine Stelle geeinigt hatten, in die sie den Eisenkeil treiben wollten, diskutierten sie noch über den richtigen Winkel und die Kraft des Schlages, bis sie endlich den Hammer ansetzten. Manche Schläge waren so verhalten, dass sie gar nichts zu bewirken schienen, dann wieder schlugen Billy oder Davy – ich konnte sie nicht auseinanderhalten – mit solcher Gewalt zu, dass ganze Steinbrocken aus der Klippe sprangen.
    Während sie arbeiteten, kamen immer mehr Menschen herbeigelaufen, die am Strand unterwegs gewesen waren. Einige Kinder schienen unser Kommen sogar schon erwartet zu haben. Zu ihnen gehörte auch Fanny Miller, die mich keines Blickes würdigte, sondern im Hintergrund bei ihren Freundinnen stand. In Lyme bleibt nichts lang geheim, die Stadt ist einfach zu klein und der Bedarf an Unterhaltung zu groß. Wenn es was Neues zu sehen gibt, hält es die Leute selbst bei kältestem Winterwetter nicht in ihren Häusern. Die Kinder rannten über den Strand, ließen Steine übers Wasser springen oder krabbelten im Matsch und Sand herum. Einige Erwachsene suchten selbst Fossilien, obwohl nur die wenigsten Ahnung davon hatten, andere standen einfach plaudernd beisammen. Ein paar Männer gaben Davy und Billy kluge Ratschläge, wie sie den Stein angehen sollten. Nicht alle blieben die vier Stunden, die es dauerte, bis der Schädel freigelegt war, denn als die Sonne hinter den Klippen verschwand, wurde es noch kälter. Einige jedoch blieben bis zum Schluss.
    Zu diesen Unerschütterlichen gehörte auch Captain Kurio, der von Charmouth aus den Strand entlanggekommen war. Als die Days den Schädel endlich in drei Teilen freigelegt hatten – die Schnauze, das Auge und den Teil des Kopfes, der sich hinter der Augenhöhle befand – legten sie ihn auf eine Trage, die aus einem zwischen zwei

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