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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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schon bald, dass Joe das Krokodil gefunden hatte, und es wurde mein Krokodil. Ich wehrte mich nicht dagegen, und Joe schien es egal zu sein. Er war froh, dass er wieder in den Schatten treten und einfach nur Joe Anning sein konnte, statt die Rolle eines Sammlers zu spielen, der Riesenbestien fand. Es war ohnehin hart für ihn, einer Familie anzugehören, über die so viel geredet und geurteilt wurde. Ich glaube, am liebsten hätte er einfach aufgehört, ein Anning zu sein, aber da das nicht ging, behielt er seine Gedanken für sich.
    Am nächsten Morgen nahmen wir Miss Elizabeth mit zum Schädel. Es war einer jener kalten klaren Tage, an denen die Klippen gestochen scharf aussehen. Allerdings hielt das gute Wetter nicht lange, die Wintersonne stand nur kurz überm Horizont der Bucht von Lyme. Trotz der Kälte mussten wir Miss Elizabeth nicht lange überreden, sie kam auf der Stelle mit, obwohl ihre Dienerin Bessy unwillig brummte und Miss Margaret zwitscherte, es würden doch bald Gäste eintreffen. Jetzt, wo ich etwas älter war, fand ich Miss Margaret ein wenig dumm und zog ihr die ruhige Louise oder die strenge und etwas schnippische Miss Elizabeth vor. Und Miss Elizabeth waren die Gäste egal, sie wollte die Riesenbestie sehen.
    Als wir das Ende der Church Cliffs erreichten, blieb mir vor Schreck fast die Luft weg, so deutlich waren die seltsamen Umrisse in der Klippenwand zu erkennen. Miss Elizabeth war ganz still. Sie zog sich ihre guten Handschuhe aus, streifte die Arbeitshandschuhe mit den abgeschnittenen Fingern über und tastete an der langen spitzen Schnauze und dem Zahnwirrwarr entlang. Hinten am Kieferscharnier kratzte sie ein Stückchen Fels ab.
    «Sieh mal», sagte sie, «der Mundwinkel geht leicht nach oben, als würde es lächeln. Erinnerst du dich noch an die Zeichnung von dem Krokodil in Cuviers Buch, die ich dir gezeigt habe?»
    «Ja, Ma’am, aber schauen Sie nur das Auge an!» Mit meinem Hammer klopfte ich vorsichtig um die Augenhöhle herum und legte mehr von den Knochenplatten frei, die wie riesige Fischschuppen übereinander lagen und in deren Mitte sich eine freie Stelle befand, an der einmal der Augapfel gewesen sein musste.
    Miss Elizabeth sah es sich genau an. «Seid ihr sicher, dass es das Auge ist?» Es schien sie zu verwirren.
    «Wüsste nicht, was es sonst sein soll», sagte Joe.
    «Das Auge in der Zeichnung von Cuvier sah aber anders aus.»
    «Vielleicht hatte dieses Tier ein krankes Auge», überlegte ich. «Oder der Franzose hat es falsch gezeichnet.»
    «Die Arbeit des besten zoologischen Anatomen der Welt in Frage zu stellen, kann wirklich nur ein Mädchen wie du wagen», schnaubte Miss Elizabeth.
    Ich runzelte die Stirn. Ich mochte diesen Cuvier nicht.
    Zum Glück ritt Miss Elizabeth nicht länger auf meiner Dummheit oder dem Auge des Krokodils herum. Viel wichtiger waren ihr ganz praktische Fragen. «Wie wollt ihr es aus der Klippe herausbekommen? Es ist bestimmt weit über einen Meter lang.»
    «Wir werden graben müssen wie noch nie zuvor, nicht wahr, Joe?»
    Joe zuckte die Schultern.
    «Aber ein Meter Stein, ist das nicht zu schwer für euch? Ihr braucht Männer, die euch helfen. Starke Männer.» Miss Elizabeth dachte einen Moment lang nach. «Was ist mit den Männern, die am Strand den Spazierweg zum Cobb anlegen? Sie wissen, wie man Stein schneidet, und sie sind stark. Vielleicht könnten sie es für euch machen.»
    «Ja, vielleicht schon, Ma’am», sagte ich. «Aber wir haben kein Geld, um sie zu bezahlen.»
    «Ich werde euch das Geld vorstrecken, ihr könnt es zurückzahlen, wenn ihr das Fossil verkauft habt.»
    Ich strahlte. «Oh, wäre das möglich, Miss Elizabeth? Wir wären Ihnen unendlich dankbar, nicht wahr, Joe?»
    Aber Joe hörte gar nicht zu. «Mary, Miss Philpot, schnell weg von hier!», zischte er. «Da kommt Captain Kurio!»
    Ich schaute mich um. In der Kurve, hinter der sich Lyme versteckte, erschien der einzige Fossiliensammler, der auf die Idee kommen könnte, sich an unser Krokodil zu machen. Normalerweise respektierten Sammler die Funde anderer, aber Captain Kurio war völlig egal, wer etwas zuerst gesehen hatte. Einmal hatte er einen riesigen Ammo aus einer Klippe am Monmouth Strand mitgenommen, bei dem Joe und ich gerade mit den Ausgrabungsarbeiten begonnen hatten. Als wir ihm sagten, dass er uns gehöre, lachte er uns nur frech ins Gesicht. «Dann hättet ihr ihn nicht liegen lassen dürfen. Wer zuletzt gräbt, kriegt ihn, also ich», sagte er.

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