Zwei bemerkenswerte Frauen
sich nicht geirrt: Es war tatsächlich «mein» Krokodil. Verblüfft starrte ich das Exponat an. Marys Fund lag auf einer Kiesfläche an einem mit Schilfgräsern umpflanzten Wasserbecken. Als sie das Fossil aus dem Fels geborgen hatte, war es flachgedrückt gewesen, und die Knochen hatten durcheinander gelegen, doch Mary hatte gespürt, dass sie es so lassen musste, wie es war, und nicht versucht, es zu rekonstruieren. William Bullock war da offensichtlich skrupelloser gewesen, denn er hatte das komplette Exponat aus seinem Steinbett gelöst und die Knochen so arrangiert, dass die paddelartigen vorderen Gliedmaßen deutlich zu erkennen waren. Die Wirbel hatte er in gerader Linie hintereinandergesteckt und fehlende Rippen sogar aus Gips nachbilden lassen. Am schlimmsten aber war, dass er dem Exponat eine Weste über den Oberkörper gezogen hatte, aus deren Armlöchern die vorderen Gliedmaßen ragten. Vor einem der beiden markanten Augen saß ein überdimensionales Monokel, und vor der Schnauze hatte man eine verlockende Auswahl an Tieren arrangiert, von der sich Krokodile ernährten: Kaninchen, Frösche und Fische. Wenigstens war es ihnen nicht gelungen, die Schnauze aufzustemmen, um ihm ein Stück Beute hineinzustecken.
Steinkrokodil
Gefunden von Henry Hoste Henley
In der Wildnis von Dorsetshire
So stand es auf dem kleinen Schild. Ich war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass sich das Fossil noch in einem der vielen Zimmer von Colway Manor befand, wo man es vielleicht an einer Wand befestigt oder auf einen Tisch gelegt hatte. Es war ein Schock für mich, es in einer Londoner Ausstellung wiederzusehen, noch dazu als Bestandteil eines spektakulären Tableaus, in dem es mir völlig fremd vorkam, und als Entdeckung von Lord Henley ausgezeichnet. Ich stand wie gelähmt da.
Als der Rest der Familie zu Johnny und mir stieß, sprach mir Louise aus der Seele: «Was für eine Abscheulichkeit!»
«Warum hat Lord Henley es gekauft? Nur, um es an diesen … diesen Zirkus weiterzugeben?» Ich blickte mich um und erschauderte.
«Vermutlich hat er ein gutes Geschäft gemacht», meinte mein Bruder.
«Wie konnte er das mit Marys Fund machen? Sieh nur, Louise, sie haben den Schwanz gerade gemacht, dabei hat sich Mary extra Mühe gegeben, ihn so zu präparieren, wie sie ihn gefunden hat.» Ich deutete auf den Schwanz, dem jetzt der Knick fehlte, den er ursprünglich im letzten Viertel hatte.
Was mich vielleicht am meisten daran ärgerte, Marys Tier auf solch vulgäre Weise ausgestellt zu sehen, war die Tatsache, dass es dadurch selbst völlig trivial wirkte und kein erhebender Anblick mehr war. In Lyme hatte es die Menschen mit seiner Andersartigkeit beeindruckt, und sie hatten ihm in scheuer Achtung Respekt gezollt. In Bullocks Museum hingegen war es nur ein Exponat unter vielen und weckte als solches nicht einmal besonders viel Ehrfurcht oder Interesse. Durch seine Verkleidung wirkte das Fossil lächerlich, noch schlimmer fand ich, dass die Museumsbesucher nur einen kurzen Blick darauf warfen, um dann wieder zu Elefant oder Nilpferd zurückzueilen, die viel aufsehenerregender waren.
John sprach mit einem der Aufseher und brachte in Erfahrung, dass das Exponat seit dem letzten Herbst in der Ausstellung war; also hatte Lord Henley es schon nach ein paar Monaten weiterverkauft.
Meine Wut verleidete mir den Museumsbesuch. Johnny vergraulte ich mit meiner schlechten Laune, wie die anderen anscheinend auch, nur Louise lud mich anschließend noch auf einen Tee bei Fortnums ein, wo ich endlich richtig losschimpfen konnte, ohne den Rest der Familie damit zu belästigen. «Wie konnte er es nur verkaufen?», wiederholte ich und rührte mit meinem Löffelchen heftig im Tee. «Wie konnte er etwas so Ungewöhnliches und Bemerkenswertes, das so eng mit Lyme und Mary verknüpft ist, an sich reißen und es einem Mann verkaufen, der es wie eine Puppe verkleidet und als Witzfigur ausstellt! Wie konnte er es wagen?»
Louise legte ihre Hand über meine, um Schaden von Fortnums Tassen abzuwenden. Ich ließ das Löffelchen fallen und beugte mich zu ihr hinüber. «Weißt du was, Louise? Ich … ich glaube, es ist gar kein Krokodil. Es hat eine ganz andere Anatomie, aber niemand will das öffentlich sagen.»
Louises graue Augen blieben klar und ihr Blick fest. «Aber wenn es kein Krokodil ist, was ist es dann?»
«Ein Lebewesen, das heute nicht mehr existiert.» Ich wartete einen Moment lang ab, um zu sehen, ob Gott die Zimmerdecke auf mich
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