Zwei bemerkenswerte Frauen
murmelte ein Mann. «Wenn ihr nicht brav seid, kommt das Krok heute Abend, wenn ihr schlaft, und frisst euch», rief eine Mutter ihren Kindern hinterher. «Mein Gott, wie hässlich», sagte jemand anderes. «Lord Henley soll es bloß holen und in seinem Gutshaus wegsperren!»
Lord Henley kam tatsächlich vorbei, um den Fund zu begutachten, machte sich aber nicht einmal die Mühe, vom Pferd zu steigen. «Hervorragend», verkündete er, während sein Pferd von den Steinplatten weg zur Seite scheute. «Sobald es vollständig ist, schicke ich meine Kutsche.» Er schien vergessen zu haben, dass es noch mehrere Wochen dauern würde, bis der Fund gereinigt und präpariert war. Und bevor sich die Annings von ihm trennen würden, musste erst noch ein Preis ausgehandelt werden.
Ich war davon ausgegangen, dass ich in die Verhandlungen mit einbezogen würde, doch kaum befand sich der Fund in der Werkstatt, musste ich feststellen, dass Molly Anning schon alles erledigt hatte. Lord Henley hatte ihr dreiundzwanzig Pfund für das Fossil gezahlt. Schlau, wie sie war, hatte sie ihn außerdem noch überredet, auf das Recht an allen weiteren Fossilien, die sie auf seinem Grund und Boden fanden, zu verzichten. Obwohl ich davon ausgegangen war, dass sie nicht schreiben konnte, hatte sie die Vereinbarung sogar auf einem Zettel festgehalten, den er unterzeichnete. Besser hätte ich es auch nicht machen können.
Erst als der Fund gereinigt neben dem Schädel lag, konnten wir die Kreatur richtig begutachten: Es handelte sich um eine beeindruckende, über fünf Meter große Bestie aus Stein, die sich mit keinem Tier vergleichen ließ, das wir kannten. Ein Krokodil war es nicht, dagegen sprachen nicht nur die riesigen Augen, das lange glatte Maul und die gleichmäßigen Zähne, sondern auch die Paddelknochen, die dieses Riesentier anstelle von Beinen hatte. Der Rumpf bestand aus einer länglichen Walze von Rippen, die an einer starken Wirbelsäule hingen und hinten in einen langen Schwanz übergingen, der ungefähr im letzten Viertel einen Knick hatte. Ein wenig erinnerte mich das Wesen an einen Delphin oder eine Schildkröte, vielleicht auch an eine Echse, aber richtig zutreffend war keiner dieser Vergleiche.
Immer wieder musste ich daran denken, dass Lord Henley die Kreatur als eine von Gottes ausgemusterten Schöpfungen bezeichnet hatte. Dann fiel mir auch die Reaktion von Reverend Jones auf diese Behauptung ein. Was ich selbst von diesem Fund halten sollte, wusste ich nicht. Die meisten, die ihn anschauen kamen, bezeichneten ihn genau wie die Annings als Krokodil, was sicher die einfachste Erklärung war. Vielleicht handelte es sich ja um eine ungewöhnliche Art, die in einem weit entfernten Land lebte, zum Beispiel in Afrika. Doch ich wusste, dass es etwas anderes war. Und nachdem ich den Fund vollständig gesehen hatte, bezeichnete ich ihn nicht länger als Krokodil, sondern nannte ihn einfach Marys Riesentier.
Joseph Anning baute einen Holzrahmen, und als Mary die Knochen gereinigt und mit Schutzlack bestrichen hatte, zementierten sie die Kalksteinplatten mit den Fossilien im Rahmen ein. Zum Schluss strich Mary einen dünnen Kalkputz um die einzelnen Teile, damit die Knochen besser zur Geltung kamen und alles schön glatt und abgerundet aussah. Sie war mit ihrem Werk sehr zufrieden, aber dann verschwand es auf Colway Manor, und sie hörte nichts mehr von Lord Henley, der anscheinend längst das Interesse an dem Fossil verloren hatte. Er war wie ein Jäger, der keine Lust hat, den erlegten Hirsch zu essen, nur dass Lord Henley in diesem besonderen Fall natürlich kein Jäger war, sondern ein Sammler.
Sammler legen Listen von den Dingen an, die sie besitzen wollen, und haben Schaukästen voller Kuriositäten, die von anderen gefunden wurden. Manchmal gehen sie zwar an den Strand und laufen mit ernster Miene an den Klippen entlang, als schauten sie sich eine langweilige Gemäldesammlung an, doch sie können sich nicht konzentrieren, weil für sie alles gleich aussieht: Quarz wie Feuerstein, verkalkte Schieferstücke wie Knochen. Außer ein paar Ammoniten- oder Belemnitenresten finden sie nichts, bezeichnen sich aber trotzdem als Experten. Von den richtigen Sammlern erwerben sie dann, was sie zur Vervollständigung ihrer Listen brauchen. Dabei verstehen sie nicht, was sie da horten, und eigentlich interessiert es sie auch nicht. Sie wissen, dass Sammeln schick ist, und das reicht ihnen.
Richtige Jäger verbringen viele Stunden und
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