Zwei bemerkenswerte Frauen
Tage draußen, und zwar bei jedem Wetter. Unsere Gesichter sind von der Sonne verbrannt, unser Haar vom Wind zerzaust und unsere Augen blinzeln ständig. Wir haben eingerissene Nägel, schartige Fingerspitzen und raue Hände; an unseren von Meerwasserflecken übersäten Stiefeln klebt Dreck, und unsere Kleidung ist abends schmutzig. Auch wenn wir nichts finden und mit leeren Händen nach Hause gehen müssen, was oft genug vorkommt, verlieren wir nicht die Geduld, sondern suchen unermüdlich weiter. Manche von uns haben ganz besondere Interessen und sammeln ausschließlich intakte Schlangensterne, Belemniten mit Tintenbeuteln oder Fischfossilien, bei denen jede Schuppe an ihrem Platz sitzt, doch wir heben auch andere Dinge auf und sind offen für alles, was Klippen und Strand uns anbieten. Einige machen es wie Mary und verkaufen, was sie finden. Andere, wie ich, behalten alles. Wir versehen unsere Funde mit Etiketten, notieren, wann und wo wir sie entdeckt haben, und stellen sie in Kästen mit Glasdeckeln aus. Wir studieren und vergleichen Fossilien und ziehen unsere Schlüsse. Die Männer schreiben ihre Theorien auf und veröffentlichen sie in Zeitschriften, die ich dann lese, auch wenn ich selbst nichts beitragen darf.
Sobald er Marys Fossil sein Eigen nannte, hörte Lord Henley mit dem Sammeln auf. Vielleicht glaubte er, seiner Sammlung nichts Besseres mehr hinzufügen zu können, doch wer das Fossiliensammeln halbwegs ernsthaft betreibt, weiß, dass die Suche nie aufhört. Es wird immer wieder neue Exemplare zu entdecken und zu studieren geben, denn so wie jeder Mensch ist auch jedes Fossil einzigartig. Man kann nie genug von ihnen haben.
Leider war dies trotzdem nicht mein letzter Zusammenstoß mit Lord Henley gewesen. Eine Zeitlang beschränkte sich unser Kontakt darauf, dass wir uns auf der Straße oder in der Kirche über die Bänke hinweg zunickten, doch als wir das nächste Mal richtig miteinander zu tun bekamen, war dies äußerst unerfreulich.
Alles begann in London. Jedes Jahr im Frühling, wenn die Straßen frei waren und wir ohne größere Probleme reisen konnten, fuhren wir dorthin. Es war unsere Belohnung dafür, einen weiteren Winter in Lyme überstanden zu haben. Mir machten die Stürme und die Einsamkeit nicht viel aus, denn für Fossiliensucher waren es ideale Bedingungen, doch weil Louise nicht in ihrem Garten arbeiten konnte, wusste sie nichts mit sich anzufangen und wurde noch verschlossener. Noch schlimmer war es mit Margaret, die in sich zusammenfiel und melancholisch wurde. Man konnte es kaum mit ansehen. Sie war ein Sommermensch, brauchte Licht, Wärme und Abwechslung zum Leben und hasste die Kälte. Weil der Ballsaal nach Saisonende, wenn keine Feriengäste mehr unterhalten werden mussten, geschlossen wurde, empfand Margaret den Morley Cottage plötzlich als Gefängnis. In den Wintermonaten hatte sie einfach zu viel Zeit zum Nachdenken. Dann wurde ihr bewusst, wie die Jahre ins Land zogen und nicht nur ihre Aussichten dahingingen, sondern auch ihre Schönheit. Die frische Rundlichkeit der Jugend schwand immer mehr, sie wurde hager und faltig. Bis zum März war Margaret jedes Mal verblichen wie ein fadenscheiniges und zu lang getragenes Nachthemd.
London war ihr Lebenselixier. Wir alle hatten Nachholbedarf und genossen es, alte Freunde zu treffen, die neuste Mode kennen zu lernen, auf Gesellschaften zu gehen und gut zu essen. Es gab neue Romane für Margaret und für mich naturkundliche Zeitschriften. Wir freuten uns daran, ein Kind im Haus zu haben, denn unser kleiner Neffe Johnny lenkte uns auf angenehme Weise davon ab, dass wir bereits ins mittlere Lebensalter getreten waren. Wir brachen gegen Ende März auf und blieben zwischen einem Monat und sechs Wochen, je nachdem, wie sehr wir uns über unsere Schwägerin aufregen mussten oder diese sich über uns. Obwohl sie ihren Ärger nie offen zeigte, wurde die Frau unseres Bruders mit jeder Woche spröder und fand ständig neue Entschuldigungen, um in ihrem Schlafzimmer oder im Kinderzimmer bei Johnny zu bleiben. Vermutlich war sie der Ansicht, das Leben in Lyme schade unseren Manieren, während wir glaubten, dass sie viel zu viel Wert darauf legte, was andere Leute dachten. Mit unseren liberalen Ansichten aus Lyme mussten wir bei den eher konservativen Londonern allerdings anecken.
Wir gingen viel aus und besuchten Freunde, das Theater, die Gemäldesammlungen in der Royal Academy und natürlich das Britische Museum; es lag so nahe beim
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