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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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um. Sie dachte nach. Ihre Worte brachten mich auf einen Gedanken, der mir noch nie zuvor gekommen war. Ich hatte Aussichten. Ein Gentleman könnte sich für mich interessieren. Vielleicht musste ich nicht immer so arm und bedürftig bleiben.
    «Gut», sagte Mam schließlich. «Wenn Miss Elizabeth oder ich nicht dabei sind, müssen Sie jemand anderes mitnehmen. Komm jetzt, Mary.»
    Ich nahm meinen Korb und meinen Hammer.
    «Aber was ist mit diesem Kiefer? Mary?» Mr Buckland wirkte fast verzweifelt.
    Ich ging zurück, bis ich ihm direkt ins Gesicht sehen konnte. «Versuchen Sie’s selbst mal, Sir. Sie sammeln doch schon seit Jahren Fossilien, eigentlich brauchen Sie mich gar nicht.»
    «Doch, Mary, ich brauche dich!»
    Ich lächelte, schwenkte meinen Korb und lief dann Mam hinterher.
    Und so kam es, dass Fanny Miller wieder in meinem Leben auftauchte. Als Mr Buckland mich am nächsten Morgen zu Hause abholte, stand Fanny hinter ihm und blickte so verdrießlich drein wie ein Kutscher im Regen. Sie hielt die Augen auf ihre Stiefel gerichtet und scharrte mit ihnen übers Pflaster des Cockmoile Square, um den Dreck abzustreifen. Genau wie ich selbst war sie zu einer jungen Frau herangewachsen, auch wenn ihre Kurven nicht ganz so ausgeprägt waren wie meine. Ihr eiförmiges Gesicht wurde von einer Haube umrahmt, die zwar schon leicht fadenscheinig aussah, dafür aber mit einem farblich zu ihren Augen passenden blauen Band besetzt war. Bei aller Armut sah sie so hübsch aus, dass ich sie am liebsten geschlagen hätte.
    Doch Mr Buckland schien das gar nicht zu bemerken, und ihm entging auch der frostige Blick, den Fanny und ich wechselten. «Siehst du», sagte er, «ich habe uns eine Anstandsdame mitgebracht. Sie arbeitet in der Küche vom Three Cups , aber sie haben gemeint, dass sie das Mädchen für die paar Stunden Ebbe erübrigen können.» Er strahlte und war offensichtlich sehr mit sich zufrieden. «Wie heißt du eigentlich, mein Mädchen?», wandte er sich an Fanny.
    «Fanny», antwortete sie so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob Mr Buckland es überhaupt gehört hatte.
    Ich seufzte, aber was sollte ich machen? Nach all dem Theater, das Mam wegen einer Begleitung veranstaltet hatte, konnte ich mich jetzt nicht über seine Wahl beklagen. Ich würde mich einfach mit ihr abfinden müssen – und sie sich mit mir. Sicher war Fanny genauso unglücklich wie ich, dass sie mit uns an den Strand herauskommen musste. Aber sie brauchte Arbeit, deshalb tat sie, was man ihr sagte.
    Wir gingen zu den Church Cliffs zurück, wo der Kiefer auf uns wartete, und Fanny bummelte hinter uns her. Während wir arbeiteten, hockte sie sich etwas weiter abseits hin und durchkämmte die Steine vor ihren Füßen. Vielleicht mochte sie noch immer funkelnde Kiesel. Sie sah so gelangweilt und verängstigt aus, dass sie mir fast schon Leid tat.
    Mr Buckland schien es ebenso zu gehen. Oder er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ein Mensch freiwillig untätig herumstand. Für ihn war Untätigkeit ein Laster. Als er Fanny mit den Steinen spielen sah, ging er zu ihr hinüber, um mit ihr über die «Untergrundkunde» – wie er die Geologie nannte – zu reden. «Hör mal … Fanny, stimmt’s? Möchtest du gern von mir wissen, was das für Steine sind, die du da sortierst? Die meisten sind Kalksteine und Feuersteine, aber der hübsche weiße dort ist ein Stück Quarz und der braune mit dem Streifen ist ein Sandstein. Weißt du, an diesem Strand gibt es verschiedene Gesteinsschichten», erklärte er und nahm einen Stock. «Schau, so.» Er zeichnete verschiedene Schichten aus Granit, Kalkstein, Schiefer, Sandstein und Kreide in den Sand. «Wir haben entdeckt, dass es diese Gesteinsschichten in ganz England und sogar auf dem Kontinent gibt. Und überall erscheinen die Schichten in der gleichen Reihenfolge. Ist das nicht überraschend?»
    Fanny antwortete nicht.
    «Vielleicht magst du kommen und dir ansehen, was wir ausgraben», versuchte er als Nächstes.
    Zögernd trat Fanny näher und schaute an der Klippenwand hoch. Sie schien immer noch Angst vor herabfallenden Steinen zu haben.
    «Siehst du diesen Kiefer?» Mr Buckland fuhr mit dem Finger darüber. «Ist er nicht schön? Die Schnauze vorne ist abgebrochen, aber der Rest ist noch intakt. Er wird ein hervorragendes Schaustück für meine Vorlesungen über Fossilienfunde abgeben.» Erwartungsvoll blickte er Fanny an, wie wenn er sich auf keinen Fall ihre Antwort entgehen lassen wollte. Als

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