Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
fehlte einfach die Zeit zum Plaudern. Das Krok musste verkauft werden.
    Schließlich gelang es mir, ihn zu unterbrechen. «Sir, lassen Sie mich die Arbeit machen, während Sie weiterreden, sonst wird das Fossil nie fertig.»
    «Du hast völlig Recht, Mary. Natürlich.» Mr Buckland reichte mir die Klinge und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um mir zuzusehen. Vorsichtig schabte ich an einer Rippe entlang, löste den Kalkstein, der auf ihr haftete, und bürstete ihn weg, bis ganz allmählich eine deutliche Linie sichtbar wurde. Wegen meiner Vorsicht waren die Rippen schön glatt und frei von Schnitten oder Einkerbungen. Als Mr Buckland ausnahmsweise einen kurzen Moment den Mund hielt, nutzte ich die Gelegenheit, um ihm eine Frage zu stellen, die mir schon seit Tagen im Kopf herumging. «Sir, ist dies eins von den Tieren, die Noah mit auf die Arche genommen hat?»
    Mr Buckland schaute verblüfft. «Aber Mary, wie kommst du auf so eine Frage?»
    Diesmal plauderte er nicht wie sonst einfach weiter, sondern schien auf eine Antwort zu warten. Das machte mich verlegen, und ich konzentrierte mich auf die Rippe. «Ich weiß nicht, Sir, ich dachte nur …»
    «Was hast du gedacht?»
    Vielleicht hatte er vergessen, dass ich nicht einer seiner Studenten war, sondern nur ein Mädchen, das für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Einen Moment lang spielte ich deshalb so einen Studenten. «Miss Philpot hat mir Bilder von dem Krokodil gezeigt, das Cruver … Cuver … na, Sie wissen schon, der Franzose mit den vielen Tieren, der das gemalt hat.»
    «Georges Cuvier?»
    «Ja, genau, der. Und dann haben wir seine Zeichnungen mit dem Tier hier verglichen und jede Menge Unterschiede gefunden. Schauen Sie, diese Schnauze ist lang und spitz wie bei einem Delphin, aber die von einem Krok ist stumpf. Außerdem hat mein Tier Flossen und keine Klauen, und sie zeigen eher nach außen und nicht wie bei einem Krokodil nach vorne. Und dann natürlich das große Auge. Kein Krokodil hat solche Augen. Darum haben Miss Philphot und ich uns gefragt, was es sonst noch sein könnte. Neulich habe ich gehört, wie Sie sich mit einem Gentleman unterhalten haben, den Sie mit in die Werkstatt gebracht hatten. Reverend Conybeare. Sie haben von der Sintflut gesprochen, und …» – genaugenommen hatten sie die Worte «Deluge» und «Diluvium» benutzt, und ich musste Miss Elizabeth nach deren Bedeutung fragen – «… und da habe ich mich gefragt, was es denn sein könnte, wenn es kein Krokodil ist. Krokodile hatte Noah ja auf seiner Arche, aber hat Gott auch Tiere geschaffen, die wir nicht kennen, obwohl sie auf der Arche waren? Das wollte ich Sie fragen, Sir.»
    Mr Buckland schwieg länger, als ich ihm jemals zugetraut hätte. Allmählich befürchtete ich, dass er meine Frage gar nicht begriffen hatte. Vielleicht war ich zu ungebildet, um mich einem Gelehrten aus Oxford verständlich zu machen. Deshalb wiederholte ich die Frage leicht verändert. «Warum sollte Gott Tiere geschaffen haben, die es nicht mehr gibt?»
    Mr Buckland schaute mich aus seinen großen Augen an, und ich sah Besorgnis in ihnen aufflackern.
    «Du bist nicht die Einzige, die sich diese Frage stellt, Mary», sagte er. «Viele gelehrte Männer debattieren darüber. Cuvier zum Beispiel glaubt, dass es so etwas wie die Auslöschung bestimmter Tierarten gibt, die dann für immer aussterben. Aber ich bin mir da nicht so sicher. Warum sollte Gott töten, was er selbst geschaffen hat?» Dann hellte sich seine Miene auf. «Mein Freund, der Reverend Conybeare, meint, dass die Heilige Schrift uns zwar sagt, Gott habe Himmel und Erde erschaffen, aber wie genau er das machte, wird nicht beschrieben, das bleibt offen für unsere Auslegung. Und genau deshalb bin ich hier: Ich will diese bemerkenswerte Kreatur untersuchen und noch andere, ähnliche Kreaturen finden, die ich dann ebenfalls untersuche. Durch sorgfältiges Abwägen und Analysieren hoffe ich zu einer Antwort zu kommen. Die Geologie hat immer im Dienste der Religion zu stehen, durch sie betrachten wir die Wunder der göttlichen Schöpfung und preisen Seinen Geist.» Er fuhr mit der Hand über die Wirbelsäule des Kroks. «In seiner unendlichen Weisheit hat Gott die Welt mit Rätseln gespickt, die der Mensch lösen soll. Dies hier ist eines von ihnen, und ich fühle mich geehrt, mich dieser Aufgabe annehmen zu dürfen.»
    Sein Worte klangen gut, aber eine Antwort hatte er mir nicht gegeben. Vielleicht, weil es keine gab? Ich dachte

Weitere Kostenlose Bücher