Zwei bemerkenswerte Frauen
Buckland wühlte im Matsch und zerrte an den Steinen, konnte sie aber nicht von der Stelle rühren. «Es ist zu schwer, Mary. Ohne Werkzeug bekomme ich dich nicht frei.» Er war irgendwie ganz benommen und schien nicht mehr normal denken zu können.
Da hörten wir einen Schrei. Wir hatten Fanny ganz vergessen. Sie befand sich nur wenige Schritte von mir entfernt und war nicht so schlimm verschüttet wie ich, doch ihr Gesicht war blutverschmiert. Jetzt kreischte sie richtig los. Mr Buckland sprang auf und lief zu ihr hin. Bei ihr lag der Lehm lockerer und er schaffte es, ihn so weit zur Seite zu räumen, dass er sie herausziehen konnte. Er wischte ihr das Blut aus dem Gesicht, wobei er ihr in seiner Panik und Ungeschicktheit die Haube vom Kopf riss. Sie wurde von einer Windbö ergriffen und wirbelte über den Strand davon. Der Verlust ihrer Haube schien Fanny mehr zu entsetzen als alles andere. «Meine Haube!», schrie sie. «Ich brauche meine Haube. Mam wird mich umbringen, wenn ich ohne meine Haube heimkomme!» Als Mr Buckland Fanny von der Stelle bewegen wollte, begann sie wieder zu kreischen.
«Sie hat sich das Bein gebrochen», keuchte Mr Buckland. «Ich muss euch hierlassen, um Hilfe zu holen.»
In dem Moment brach weiter hinten noch ein Teil der Klippe ab und donnerte zu Boden. Fanny kreischte wieder. «Lassen Sie mich nicht hier, Sir. Bitte lassen Sie mich nicht an diesem gottverlassenen Ort zurück!»
Ich wollte auch nicht allein zurückgelassen werden, doch ich schrie nicht. «Am besten, Sie tragen sie, Sir. Dann können Sie wenigstens eine von uns retten.»
Mr Buckland stand das Grauen im Gesicht geschrieben. «Oh, nein, das kann ich doch nicht machen. Das wäre nicht richtig.» Offenbar war es selbst diesem Mann, der Feldmäuse aß, immer einen knallblauen Sack mit sich herumtrug und ins Meer pinkelte, nicht geheuer, ein Mädchen zu tragen. Doch dies war nicht die Zeit, um sich Gedanken über Anstand zu machen.
«Legen Sie einen Arm um ihre Schulter und einen unter die Knie, und dann heben Sie sie hoch», wies ich ihn an. «Sie ist so ein kleines Persönchen, selbst ein Gelehrter wie Sie sollte es schaffen, sie zu tragen.»
Mr Buckland hielt sich an meine Anweisungen und hob Fanny hoch. Wieder kreischte sie vor Schmerz und Scham. Sie streckte die Arme weit von sich und wandte ihr Gesicht ab.
«Um Himmels willen, Fanny, leg die Arme um seinen Hals!», schrie ich. «Hilf dem Mann, sonst kriegt er dich nie zurückgetragen.»
Fanny gehorchte. Sie warf ihre Arme um seinen Hals und vergrub den Kopf an seiner Brust.
«Bringen Sie sie zum Badehaus, das ist am nächsten. Und schicken Sie sofort Leute mit Spaten hier raus.» Normalerweise würde ich einem Gentleman niemals in diesem Ton Befehle erteilen, aber Mr Buckland schien seinen Verstand verloren zu haben. «Bitte machen Sie schnell, Sir. Ich halte es hier nicht aus so allein.»
Als er nickte, krachte noch ein weiterer Klippenabschnitt herunter. Mr Buckland wich erschrocken zurück. Ich sah ihn fest an. «Beten Sie für mich, Sir. Und wenn ich sterbe, sagen Sie bitte Mam und Joe …»
«S…s… sag nicht so was, Mary. Ich bin gleich wieder da.»
Ohne weiter auf mich zu hören, stapfte Mr Buckland davon. Fanny blickte mich über seine Schulter hinweg mit glasigen Augen an. Sie hatte sich seinen Armen ergeben, jetzt war alles egal. Doktor Carpenter würde ihr später das Bein schienen, aber der Bruch war schwierig und verheilte nie richtig. Seither war eines ihrer Beine kürzer als das andere, und sie konnte keine weiten Strecken mehr gehen, länger stehen oder auf den Strand hinauslaufen – was sie ohnehin nicht wollte. Immer, wenn ich sie über die Broad Street zum Three Cups humpeln sah, blickte ich zu Boden, um dem bangen Blick aus blauen Augen auszuweichen.
Doch das alles wusste ich natürlich noch nicht, als ich in dem Erdrutsch begraben lag. Ich sah Mr Buckland mit seiner Last über den Strand davonwanken. Für mich bewegte er sich viel zu langsam, und ich fragte mich, warum die Hübschen immer vor den Hässlichen gerettet wurden. War es nicht typisch für diese Welt? Fanny mit ihren großen blauen Augen und dem niedlichen Gesichtchen steckte nicht fest, während ich hier unbeweglich im Dreck lag und die Klippe auf mich zu stürzen drohte.
Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, zum Beispiel über Mr Buckland. Es war schon seltsam, dass ein zum Priester geweihter Mann, der sich so dafür interessierte, was Gott früher alles gemacht hatte,
Weitere Kostenlose Bücher