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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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wandte mich von Colonel Birch ab und schritt los in Richtung Seatown, blind für alle Fossilien, die sich vor meinen Füßen befinden mochten.
    Colonel Birch plante mehrere Wochen zu bleiben, um seine Sammlung aufzubauen. Er hatte sich ein Zimmer in Charmouth genommen, kam aber täglich nach Lyme und okkupierte Mary gleich von Anfang an vollständig. Jeden Tag ging sie mit ihm hinaus an den Strand. Anfangs begleitete ich sie noch, denn im Unterschied zu Mary selbst fürchtete ich um ihren Ruf in der Stadt. Auch wenn wir zu dritt unterwegs waren, versuchte ich in den angenehmen Rhythmus hinein zu finden, der sich immer einspielte, wenn ich mit Mary allein ging und jede von uns sich auf die eigene Suche konzentrierte, sich aber gleichzeitig der beruhigenden Nähe der anderen bewusst war. Doch Colonel Birch, der nicht von Marys Seite wich und ständig auf sie einredete, ruinierte diesen Rhythmus. Dass sie in jenem Sommer überhaupt etwas fand, spricht für ihr Suchgeschick. Doch Mary schien nichts gegen sein Geplapper zu haben – mehr noch, sie war völlig vernarrt in ihn. Wenn die beiden am Strand waren, war ich dort völlig überflüssig, genauso gut hätte ich ein leerer Krabbenpanzer sein können. Dreimal bin ich mit ihnen Suchen gegangen, dann hatte ich genug.
    Colonel Birch war ein Aufschneider. Oder, um genau zu sein, Lieutenant Colonel Birch war ein Aufschneider. Denn das war eine seiner vielen kleinen Schlichen: Indem er den «Lieutenant» wegließ, beförderte er sich in einen höheren Rang, als er tatsächlich bekleidete. Auch dass er längst aus der Leibgarde ausgeschieden war, erwähnte er mit keinem Wort, obwohl jeder, der sich ein wenig mit dem Militär auskannte, sehen konnte, dass er noch die aus einem langen Mantel und ledernen Reithosen bestehende alte Uniform trug und nicht den kürzeren Rock und die blaugrauen Pantalons der gegenwärtigen Soldaten. Ohne selbst an der Schlacht von Waterloo teilgenommen zu haben, sonnte er sich fröhlich in dem Ruhm, den die Leibgarde dort errungen hatte.
    In den drei Tagen, die ich mit ihm am Strand verbrachte, fiel mir jedoch etwas auf, das mich noch mehr erzürnte: Er selbst fand keine Fossilien. Anders als Mary und ich heftete er die Augen nicht auf den Boden, sondern studierte unsere Gesichter und folgte unseren Blicken. Blieben wir stehen, um uns zu bücken, hatte er schon die Hand ausgestreckt und aufgehoben, was wir entdeckt hatten, bevor wir es selbst tun konnten. Bei mir wendete er diese Methode nur einmal an, denn mein böse funkelnder Blick belehrte ihn eines Besseren, aber Mary war nachsichtiger oder von ihren Gefühlen geblendet. Sie überließ ihm viele ihrer Funde, die er dann als seine ausgab.
    Der Dilettantismus von Colonel Birch entsetzte mich. Trotz seines zur Schau gestellten Interesses an Fossilien und der vorgeblich robusten militärischen Verfassung, die keine Entbehrungen scheut, wollte er sich bei der Fossiliensuche nicht die Finger im Matsch schmutzig machen. Er suchte mit Hilfe seiner Brieftasche und seines Charmes oder, indem er andere bestahl. Bis zum Ende des Sommers hatte er sich eine hübsche Sammlung zugelegt, nur dass die Funde von Mary stammten, die sie ihm entweder geschenkt oder ihn bei der gemeinsamen Suche mit der Nase darauf gestoßen hatte. Wie Lord Henley und die anderen Männer, die nach Lyme kamen, war Colonel Birch eher ein Sammler als ein Jäger. Statt mit eigenen Augen und Händen zu suchen, kaufte er sein Wissen. Ich verstand nicht, was Mary an ihm so anziehend fand.
    Nein, das stimmt nicht. Ich verstand es sehr wohl, denn ich war selbst ein wenig in ihn verliebt. Mochte ich auch noch so viel an ihm auszusetzen haben, ich fand ihn attraktiv. Nicht nur rein äußerlich, obwohl das sicher eine Rolle spielte, sondern weil sein Interesse an Fossilien ehrlich und tiefgehend war. Wenn er nicht gerade mit Mary flirtete, konnte er sehr kenntnisreich und leidenschaftlich über die Herkunft des Ichthyosauriers debattieren und sich Gedanken darüber machen, was dessen Aussterben zu bedeuten hatte. Zur Rolle Gottes vertrat er einen eigenen, klaren Standpunkt, ohne deswegen respektlos oder blasphemisch zu wirken. «Ich bin mir sicher, dass Gott Wichtigeres zu tun hat, als auf jedes einzelne Lebewesen dieser Welt aufzupassen», sagte er einmal, als wir über den Klippenpfad nach Lyme zurückliefen, nachdem die Flut uns den Weg abgeschnitten hatte. «Mit seiner Schöpfung hat er etwas so Wunderbares vollbracht, dass Er jetzt nicht

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