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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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plötzlich ein gut aussehender ehemaliger Soldat in schicker Uniform dahergelaufen, der ihr die Hand küsste, ihre gute Haushaltung lobte und sie um die Erlaubnis bat, mit ihrer Tochter über den Strand gehen zu dürfen. Dieselbe Frau, die sich so entrüstet darüber gezeigt hatte, dass der unschuldige William Buckland Mary mit hinausnahm, vergaß nun über einem Handkuss und ein paar netten Worten alle Vorsicht. Vielleicht war sie es auch einfach leid, immer nur nein zu sagen.
    In dem Laden, in dem Molly Anning Feriengästen Fossilien verkaufte, wurden allmählich selbst die einfachsten Exemplare wie Ammoniten oder Belemniten knapp, denn Mary suchte sie nicht mehr. Sie überließ es anderen, Knollen aufzubrechen, und ignorierte die Anfragen von Sammlern, die Seeigel, Gryphaea oder Schlangensterne kaufen wollten. Wenn sie etwas Gutes fand, gab sie es Colonel Birch, oder sie ermunterte ihn, ihre Funde als seine eigenen aufzuheben. Ich half Molly so gut ich konnte, indem ich ihr meine Funde gab. Schließlich sammelte ich ohnehin in erster Linie Fischfossilien und konnte mich deshalb leicht von anderen Exemplaren trennen. Doch den Annings ging allmählich das Geld aus. Sie machten Schulden beim Bäcker und beim Fleischer, zu denen sich, sobald es kalt wurde, sicher noch der Kohlenhändler gesellen würde. Und trotzdem sagte Molly Anning nichts; vielleicht betrachtete sie Marys Zeit mit Colonel Birch als Investition in die Zukunft.
    Da ihre Mutter es nicht tat, versuchte ich mit Mary über Colonel Birch zu reden. Wenn das Wasser hoch stand, konnten sie nicht hinaus an den Strand. Meistens kehrte er dann im Gasthaus Three Cups ein oder besuchte den Ballsaal, der Mary natürlich verschlossen blieb. Sie half derweil ihrer Mutter, reinigte die Funde für Colonel Birch oder lief einfach wie benommen durch die Straßen von Lyme. Als ich eines Tages aus der Sherborne Lane bog, einer kurzen Passage, die vom Stadtzentrum in die Silver Street führte und die ich wählte, wenn mir nicht danach war, die vielen Menschen in der Broad Street zu grüßen, lief ich Mary über den Weg. Ihr Blick war aufs Golden Cap gerichtet und ihr Gesicht von einem beseelten Lächeln erhellt, das von einer tiefen inneren Freude sprach. Einen Moment lang war ich versucht zu glauben, dass Colonel Birch es ernst mit ihr meinte.
    Mein eifersüchtiges Herz krampfte sich zusammen, als ich sie so glücklich sah. Ich konnte nicht länger an mich halten. «Mary», fiel ich mit der Tür ins Haus, ohne mich mit dem einleitenden höflichen Geplauder aufzuhalten, das solche Gespräche leichter macht. «Bezahlt Colonel Birch dir die Stunden, die du mit ihm verbringst?»
    Mary schüttelte kurz den Kopf, als versuchte sie sich aus ihren Träumen zu reißen, dann blickte sie mir hellwach in die Augen. «Was meinen Sie damit?»
    Ich wechselte meinen Einkaufskorb von einem Arm zum andern. «Er beansprucht deine ganze Zeit, die du eigentlich zum Suchen brauchst. Bezahlt er dich dafür oder wenigstens für die Fossilien, die du für ihn findest?»
    Mary kniff die Augen zusammen. «Das haben Sie mich bei Mr Buckland oder Henry De La Beche oder irgendwelchen anderen Herren, die ich an den Strand begleitet habe, nie gefragt. Ist Colonel Birch irgendwie anders?»
    «Du weißt, dass er das ist. Die anderen Männer haben ihre Fossilien zum Beispiel selbst gefunden. Oder sie haben dich bezahlt, wenn du sie gefunden hast. Bezahlt Colonel Birch dich?»
    In Marys Augen glimmte ein Funke des Zweifels auf, den sie aber gleich mit Verachtung überspielte. «Er findet seine eigenen Kuris, er muss mich nicht bezahlen.»
    «Ach, ja? Und was hast du dann zum Verkaufen gefunden?» Mary antwortete nicht. «Mary, ich habe den Tisch deiner Mutter am Cockmoile Square gesehen. Es ist kaum noch etwas darauf. Sie verkauft unvollständige Ammoniten, die du früher einmal ins Meer zurückgeworfen hättest.»
    Mary war auf den Boden zurückgekommen. Sollte das meine Absicht gewesen sein, hatte ich Erfolg gehabt. «Ich helfe Colonel Birch», erklärte sie. «Ist das ein Verbrechen?»
    «Er sollte dich dafür bezahlen. Anderenfalls nutzt er dich nur aus, und zum Schluss stehst du mit deiner Familie ärmer da als jemals zuvor.» Hätte ich es nur dabei bewenden lassen, dann hätten meine Worte vielleicht eine positive Wirkung gehabt. Aber ich konnte nicht anders, ich musste weiterbohren. «Sein Benehmen spricht nicht für seinen Charakter, Mary. Es wäre besser, wenn du dich von diesem Mann fernhalten

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