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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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das Leben eines jeden einzelnen Wurms oder Haifisches im Auge behalten muss. Seine Sorge gilt uns, denn uns hat er schließlich nach Seinem Ebenbild geschaffen, und uns hat er Seinen Sohn geschickt.» Aus dem Mund von Colonel Birch klang das so klar und vernünftig, dass ich mir wünschte, Reverend Jones könnte ihn hören.
    Colonel Birch war ein Mann, der über Fossilien nachdachte und über sie redete. Er ermutigte uns Frauen, nach ihnen zu suchen, und es störte ihn auch nicht, dass ich mir dabei regelmäßig die Handschuhe ruinierte. Dass er kein Talent zum Suchen hatte und nur ein Sammler war, war auch nicht der wahre Grund meines Zorns. Es war vielmehr die Tatsache, dass er mich, die ich vom Alter und vom gesellschaftlichen Hintergrund viel besser zu ihm passte, nicht einen Moment als zu umwerbende Dame in Erwägung gezogen hatte.
    Doch was immer ich von ihm halten mochte, es oblag mir nicht zu entscheiden, was Mary mit Colonel Birch tat oder nicht tat. Das war die Aufgabe von Molly Anning. Im Lauf der Jahre hatten Molly und ich mehr Verständnis füreinander entwickelt, sie war jetzt weniger misstrauisch und ich nicht mehr so unsicher ihr gegenüber. Auch wenn sie kaum Bildung genossen hatte und ihr die poetische und philosophische Seite unserer Entdeckungen verschlossen blieb, konnte sie akzeptieren, was mir und anderen daran wichtig war. Dass sich diese Wichtigkeit für sie in klingender Münze auszahlte und ihre Familie nährte, kleidete und ihr ein Dach über dem Kopf sicherte, mochte natürlich eine Rolle spielen, doch sie machte sich nicht mehr darüber lustig, was andere in Fossilien sahen. Für Molly blieben sie etwas, das man verkaufen konnte, genauso wie man Knöpfe, Karotten, Fässer oder Nägel verkaufte. Und falls sie es seltsam fand, dass ich meine Funde behielt, ließ sie es sich nicht anmerken. In ihren Augen hatte ich es einfach nicht nötig, etwas zu verkaufen. Louise, Margaret und ich lebten zwar nicht im Luxus, doch wir mussten nie den Gerichtsvollzieher oder das Armenhaus fürchten. Die Annings aber wussten nur zu gut, was Hunger bedeutete, und eine solche Erfahrung kann den Verstand schärfen. Molly Anning entwickelte sich zu einer gerissenen Geschäftsfrau, die immer wieder ein paar Extraschillinge oder Pennies für sich herausschlug.
    Sie beneidete mich um mein Einkommen und meine Stellung in der Gesellschaft – soweit man in Lyme von einer «Gesellschaft» sprechen konnte –, gleichzeitig tat ich ihr aber auch Leid, weil ich nie mit einem Mann zusammen gewesen war und die Sicherheit der Ehe genauso wenig kannte wie die Liebe eines Babys in meinen Armen. Dieses Mitleid bildete ein gutes Gegengewicht zum Neid, so dass sie mich recht neutral sah und sogar ein wenig Verständnis für mich aufbrachte. Ich hingegen bewunderte sie für ihre Geschäftstüchtigkeit und die Fähigkeit, selbst schwierige Situationen allein zu bewältigen. Obwohl sie angesichts ihres harten und entbehrungsreichen Lebens jedes Recht dazu gehabt hätte, beklagte sie sich nie.
    Nur vom Charme des Colonel Birch hatte sich Molly Anning leider fast genauso hinreißen lassen wie ihre Tochter. Eigentlich hielt ich viel auf ihre Menschenkenntnis und hatte deshalb erwartet, dass sie Colonel Birch als den habsüchtigen Aufschneider und Schwindler entlarven würde, der er war. Vielleicht aber spürte sie genau wie Mary, dass er die erste – und möglicherweise auch einzige – Gelegenheit war, ihre Tochter aus dem harten Leben ihrer Klasse zu sich empor in eine bessere und wohlhabendere Welt zu ziehen.
    Ich glaube nicht, dass Colonel Birch von Anfang an vor hatte, Mary den Hof zu machen. Das Jagdfieber hatte ihn nach Lyme gelockt, wo er, wie viele andere auch, Schätze am Strand zu finden hoffte; Knochen, die von früheren Zeiten sprachen und mittlerweile den Wert von Silber hatten. Hat man sich einmal am Sammelvirus angesteckt, wird man es so schnell nicht mehr los. Allerdings bot sich Colonel Birch in Lyme auch die seltene Gelegenheit, ganze Tage mit einer unbegleiteten Frau zu verbringen, und er hatte nicht widerstehen können.
    Zunächst aber musste er ihre Mutter gewinnen, was ihm gelang, indem er schamlos mit Molly Anning flirtete, so dass diese vielleicht zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben den Kopf verlor. Molly war von Armut und Verlusten zermürbt. In den Jahren nach dem Tod von Richard Anning hatte sie wegen der ständigen Geldsorgen und der Angst vorm Armenhaus wenig zu lachen gehabt. Und dann kam

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