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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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«Mary, ich glaube, hier draußen gibt es noch eine andere Kreatur», sagte er. «Eine, wie der Ichthyosaurier eine Wirbelsäule, Rippen und Flossen hatte, aber von der Anatomie her mehr dem Krokodil gleicht. Wäre das nicht etwas, wenn du noch eine andere von Gottes Kreaturen fändest?»
    Einen Moment lang konnte ich klar denken. Ich hab Mr Buckland in sein gütiges Gesicht geblickt, das mit den Jahren noch runder und pausbäckiger geworden war. Seine Augen strahlten, und ich konnte förmlich die Gedanken hinter seiner hohen Stirn sehen. «Ja, ich glaube, das wäre was», hätte ich beinahe gesagt, «denn ich denke schon seit Jahren über dieses neue Riesentier nach.» Aber ich hab’s nicht gesagt. Noch bevor ich den Mund aufmachen konnte, ist meine Stimmung wieder gesunken wie ein Blatt auf den Grund eines Sees.
    Mam und Joe sind suchen gegangen, während ich zu Hause blieb und mich um den Laden kümmerte. Als Mam das erste Mal mit Joe zum Black Ven ging, hat mich das überrascht. Sie hat mich ganz komisch angesehen, als sie aufbrachen, aber gesagt hat sie nichts. Früher war sie auch manchmal mit mir draußen gewesen, aber nur, um mich zu begleiten, nicht um selbst zu suchen. Ihr lag mehr der geschäftliche Teil. Sie hat Briefe an Sammler geschrieben, das Geld eingetrieben, das man uns schuldete, und Fossilien zum Verkauf angeboten. Wenn Besucher in unseren Laden kamen, haben sie wegen Mams Überredungskünsten oft mehr gekauft, als sie eigentlich wollten. Dafür hat sie nie Kuris gesucht. Sie hatte weder den richtigen Blick noch die Geduld. Zumindest dachte ich das. Aber als Joe und Mam nach ein paar Stunden wieder zurückkamen, musste ich staunen, denn der Korb, den mir Mam ziemlich stolz reichte, war schwer von ihren Funden. Es waren fast nur Ammos und Belis – Anfängerkuris, die wegen ihrer gleichmäßigen Linien besonders deutlich zwischen den Steinen zu erkennen sind. Aber immerhin hatte sie auch ein paar Pentacrini gefunden, einen beschädigten Seeigel und, was mich am meisten überraschte, ein Stück aus dem Schulterknochen eines Ichies. Allein für den Knochen konnten wir drei Schilling bekommen und eine Woche lang satt werden.
    Als sie auf dem Abtritt war, hab ich Joe beschuldigt, dass er ihr die Funde in den Korb gelegt und als ihre ausgegeben hätte. Er hat den Kopf geschüttelt. «Sie hat sie selbst gefunden. Ich weiß nicht, wie sie es schafft, weil sie beim Suchen so planlos vorgeht. Aber sie findet trotzdem was.»
    Später hat Mam mir erzählt, dass sie einen Handel mit Gott abgeschlossen hatte: Er sollte ihr zeigen, wo die Kuris lagen, dann wollte sie nie mehr an ihm zweifeln, was sie in den vergangenen Jahren mit den vielen Toten und Schulden oft genug getan hatte. «Er muss mich erhört haben, denn ich brauchte gar nicht lange suchen, um was zu finden», sagte Mam. «Sie lagen einfach auf dem Strand rum und schienen nur darauf zu warten, dass ich sie aufhebe. Ich weiß nicht, warum du immer so ein Theater gemacht hast. Tagelang warst du unterwegs, dabei ist es doch gar nicht so schwer, Kuris zu finden.»
    Am liebsten hätte ich ihr widersprochen und mit ihr gestritten, aber weil ich selbst nicht mehr suchen ging, konnte ich mir das nicht rausnehmen. Außerdem stimmte es. Wenn Mam losging, kam sie immer mit vollem Korb zurück. Sie hatte nämlich den richtigen Blick, sie wollte es nur nicht zugeben.
    Doch am 12. Mai 1820 änderte sich alles. Ich stand gerade hinter unserem Verkaufstisch auf dem Cockmoile Square und zeigte einem Ehepaar aus Bristol Seelilien, als ein Junge mit einem Päckchen für Joe vorbeikam. Er verlangte einen Schilling dafür, weil es größer war als ein normaler Brief, und ich hatte keinen Schilling. Ich wollte den Jungen schon wegschicken, als ich die Handschrift erkannte, auf die ich all die Monate gewartet hatte. Ich kannte seine Schrift, weil ich ihm gezeigt hatte, wie man für jedes Fundstück ein Schildchen schreibt. Das hatte ich von Miss Elizabeth gelernt. Man beschreibt den Fund, notiert den Linnéschen Namen, falls er bekannt ist, hält fest, wann und wo man es gefunden hat und in welcher Gesteinsschicht es steckte und was sonst noch an Informationen nützlich sein könnte.
    Ich entriss dem Jungen das Päckchen und starrte es an. Warum war es an Joe adressiert? Sie hatten sich doch nie besonders gemocht? Warum schrieb er nicht an mich?
    «Du kriegst das nur, wenn du auch zahlst, Mary.» Der Junge zog an dem Päckchen.
    «Ich hab den Schilling noch nicht, aber

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