Zwei bemerkenswerte Frauen
wolle er mich beruhigen. «Eines jedoch habe ich Ihnen noch nicht gesagt, meine Damen und Herren: Von der Tochter dieser Familie – Mary Anning – stammen die meisten Fossilien meiner Sammlung. Sie hat sie gefunden, einschließlich des wunderbaren Ichthyosauriers, der gerade versteigert wurde. Mary Anning ist …» er unterbrach sich kurz «… sie ist womöglich die bemerkenswerteste junge Frau, die ich jemals in Fossilienkreisen kennenlernen durfte. Sie hat mir geholfen, und vielleicht kann sie auch Ihnen in Zukunft helfen. Wenn Sie die Fossilien anschauen und bewundern, die Sie heute erworben haben, sollten Sie immer daran denken, dass sie von dieser Frau gefunden wurden. Ich danke Ihnen.»
Ein Raunen ging durch den Saal. Colonel Birch nickte mir zu und trat dann zur Seite. Sofort war er von einer Meute in Mänteln und Zylindern umringt. Ich begann mich zum Ausgang vorzukämpfen. Alle Männer in meiner Nähe hatten begonnen, mich neugierig zu mustern, allerdings nicht wie die Männer draußen auf der Straße, sondern auf eine andere, seriöse Weise. «Entschuldigen Sie, sind Sie Miss Anning?», fragte mich jemand.
«O nein. Nein», erwiderte ich mit einem heftigen Kopfschütteln. «Das bin ich nicht.» Der Mann wirkte enttäuscht, und ich spürte einen Hauch von Wut in mir aufsteigen. «Ich bin Elizabeth Philpot», erklärte ich. «Und ich sammele Fischfossilien.»
Nicht alle hatten meine Antwort mitbekommen, denn in meiner Umgebung fiel immer wieder der Name «Mary Anning.» Als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, drehte ich mich nicht um, sondern drängte mich durch die Männerreihen, bis ich endlich draußen auf der Straße stand. Ich schaffte es, mich zu beherrschen, bis ich sicher in einer Droschke saß, in der mich niemand sehen konnte. Und dann liefen mir, die niemals weinte, die Tränen übers Gesicht. Tränen, die nicht Mary galten, sondern mir selbst.
VII
Wie die Flut an ihren höchsten Punkt schlägt
und sich wieder zurückzieht
I ch weiß noch, an welchem Tag der Brief kam: Es war der 12. Mai 1820. Joe hat es in den Jahreskalender geschrieben, aber ich würde mich auch so dran erinnern.
Ich rechnete schon nicht mehr damit, noch von ihm zu hören. Seit seiner Abreise waren Monate vergangen, und ich vergaß allmählich, wie er aussah, wie er sich bewegte und was er alles gesagt hatte. Ich hab auch nicht mehr mit Margaret Philpot über ihn geredet oder Miss Elizabeth gefragt, ob die anderen Gentlemen, die Fossilien sammelten, was über ihn gesagt hatten. Das Medaillon hab ich abgenommen und weggelegt. Ich hab es auch nicht mehr hervorgeholt, um es anzusehen.
Und ich bin nicht mehr zum Strand gegangen. Irgendwas war mit mir geschehen. Ich fand keine Kuris mehr. Anfangs bin ich schon noch draußen gewesen, aber ich schien irgendwie blind zu sein. Nichts hat geglitzert; es gab keine kleinen Blitzschläge mehr, keine Muster, die sich unter all den verschiedenen Formen hervorhoben.
Sie haben versucht, mir zu helfen, Mam und Miss Philpot. Selbst Joe hat seine Polstererwerkstatt verlassen, um mit mir suchen zu gehen, dabei wär er sicher lieber drinnen bei seinen Stühlen geblieben. Als Mr Buckland wieder nach Lyme kam, war sogar er, der nie merkt, was mit anderen los ist, besonders freundlich zu mir und hat mich an seine Fundstellen geführt. Er hat mir gezeigt, wo wir seiner Meinung nach suchen müssen, und ist viel länger neben mir hergegangen als sonst. Wenn man’s genau nimmt, hat er all das gemacht, was ich früher immer für ihn getan habe. Um mich aufzumuntern, hat er mir Geschichten über seine Reisen mit Reverend Conybeare zum Kontinent oder über sein verrücktes Leben in Oxford erzählt. Dort hat er sich mal einen zahmen Bären als Haustier gehalten, den er dann verkleidet und den anderen Universitätsprofessoren vorgestellt hat. Einmal brachte ihm ein Freund von einer Reise ein in Salzlake eingelegtes Krokodil mit, und Mr Buckland konnte seine Probierliste aus dem Tierreich um ein neues Exemplar erweitern. Über diese Geschichten musste ich tatsächlich lächeln.
Mr Buckland war der Einzige, der wenigstens kurz durch den Nebel um mich gedrungen ist. Wir haben uns über die Sachen unterhalten, die wir im Lauf der Jahre gefunden hatten und die nicht zum Ichie zu gehören schienen, zum Beispiel die breiteren und klobigeren Wirbel und die viel zu flachen Paddelknochen. Einmal hat er mir einen Wirbel mit einem Stück Rippe gezeigt, die viel tiefer angesetzt war als bei einem Ichie.
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