Zwei Esel Auf Sardinien
sich blicken, um mir beizustehen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als noch ein bisschen weiterzumelken. Wer weiß, vielleicht muss ich ja mal eine Bäuerin spielen, dann kann ich wenigstens dem Regisseur imponieren?
Ziege fangen, sie festhalten, von ihr gebissen werden, einen Tritt kassieren, Milch in den Eimer strahlen, aufpassen, dass er nicht umkippt, im Matsch ausrutschen, Rock, Mantel und Hände restlos einsauen, das ist die Reihenfolge. Nach einer halben Ewigkeit bin ich fertig. Ich bin stolz, kriege aber gleichzeitig eine gesalzene Wut auf meinen Herzallerliebsten. So, der ist jetzt dran, und der Gestank an mir wird ihn zur Besinnung bringen!
Ich schnappe mir den fast vollen Eimer und gehe zum Haus. Anna ist wer weiß wo, also stelle ich die Milch in ihre Küchenecke.
Dann mache ich mich auf den Weg zu Bruno.
Er befindet sich noch immer im Koma, und langsam mache ich mir Sorgen. Mit den üblichen Tricks bekomme ich ihn nicht wach, also laufe ich in die Küche, um Kaffee zu holen. Anna ist nirgendwo zu sehen, aber auf dem kleinen Tischchen steht eine italienische Caffettiera , eine typische Handkaffeemaschine, die man aufs Feuer stellt. Jetzt brauche ich nur noch einen Espresso, und alles sieht schon besser aus.
Wenn einem Italiener etwas in seinem Leben nicht ausgehen darf, ist es Kaffee. So habe ich gottlob auch hier Glück und finde auf Anhieb eine wunderbare Dose mit dem würzigen Lebenselixier.
Ganz gegen seine Gewohnheit gebe ich zwei Löffel Zucker in das extrastarke Gebräu und renne zurück in unseren Stall.
»Mund auf«, herrsche ich ihn unsanft an, aber er reagiert nicht.
»Bitte, Bruno, mach deinen Mund auf, und trink das.«
Endlich! Also säusele ich weiter, trotz meiner Stinkwut, und kriege ihn tatsächlich dazu, die ganze Tasse auszutrinken. Bevor er sich wieder in seine Embryohaltung zusammenrollt, meine ich ein zartes »Grazie« gehört zu haben, und das war’s dann auch.
Lethargie ertrage ich nicht. Egal, ob ich einen Kater habe oder es mir sonst nicht gutgeht, ich versuche immer, mich aufzurappeln. Wenn ich noch andere Menschen mitziehen muss, lässt mir mein eingebläutes Verantwortungsgefühl eh keine Ruhe, und ich schleppe mich vorwärts. Bei Bruno jedoch scheint in seiner Kindheit vieles anders gelaufen zu sein. Wenn es ihm nicht gutgeht, fühlt er keine Verpflichtung, geschweige denn irgendeinen Drang, aus eigenem Antrieb seine Situation zu verbessern. Bruno erwartet Hilfe von außen. Seit geraumer Zeit von mir, indem ich ihm etwas bringe oder ihn massiere, einen Arzt hole oder ihn auch nur stundenlang streichle, ihn jedenfalls so lange in seiner Befindlichkeit lasse, wie es ihm passt. Erst dann, und das in unendlicher Langsamkeit, wird er ins Leben zurückkehren.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Mittlerweile erhellt die Sonne mit weichem Licht die mit Tautropfen übersäten Wiesen rings um das bäuerliche Anwesen. Still ist es, bis auf das vereinzelte zarte Bimbim der Glöckchen, die manchen Ziegen um den Hals hängen. Hin und wieder kräht in der Ferne ein Hahn.
In der Küche finde ich ein Stück Fladenbrot und einen in Zeitungspapier eingewickelten Zipfel Salami. Da niemand hier ist, den ich fragen kann, erlaube ich mir, meinen Hunger zu stillen, und schlinge gierig alles hinunter, trinke den Rest Kaffee und mache eine kurze Morgentoilette an der Wasserpumpe. Den Gedanken an eine Dusche und frische Wäsche verdränge ich. Neben dem Brunnen liegt eine Bürste, daneben ein großes Stück Seife. Was auch immer Anna und Claudio damit machen, ich werde jetzt meine Schuhe reinigen und wenigstens meinen Oberkörper waschen. Verstohlen ziehe ich mein blaues T-Shirt aus, das schon bessere Zeiten gesehen hat, und mache Katzenwäsche, dann bürste ich meine verkrusteten Füße, danach meine Sandaletten und trockne mich mit Taschentüchern aus meiner Handtasche ab. Wie wenig man plötzlich zum Glück braucht! Ich verspüre Tatendrang! Ich werde mich nicht weiter untätig dieser Situation überlassen. Ich werde erst Anna und dann eine Lösung finden.
Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Anna aus dem Stall kommt. Sie winkt mir und zieht zwei Esel hinter sich her. Ich laufe ihr entgegen.
Ein Schwall Sardisch überschüttet mich, und ich meine zu verstehen, dass Claudio wieder am Flughafen ist, um weiter zu streiken. Sie deutet unter Grinsen an, dass die beiden Männer gestern Abend ordentlich dem Feuerwasser zugesprochen haben, um dann mit einem » Va beh,
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