Zwei Geschichten von der See
Tag an gehörte der Name »Wasserschrei« definitiv zu Quincas dazu. Er hatte damals die Taverne des sympathischen Spaniers Lopez draußen vor dem Markt betreten. Als Stammgast genoss er das Vorrecht, sich ohne Beihilfe des zuständigen Mitarbeiters selbst einzuschenken. Da sah er auf dem Tresen eine Flasche stehen, schier überlaufend vor klarem Schnaps, durchsichtig bis zur Vollkommenheit. Er füllte ein Glas, spuckte kurz aus, um sich den Mund zu säubern, und stürzte den Inhalt in einem Zug herunter. Und dann durchschnitt ein unmenschlicher Schrei den morgendlichen Frieden am Markt und erschütterte selbst den Lacerda-Aufzug bis in seine Grundfesten. Der Schrei eines waidwunden Tiers, eines Mannes, der verraten ist und vom Glück verlassen:
»Waaaaasser!«
Dieser widerliche, ekelhafte Spanier, dessen Ruf zu Recht nichts galt! Von allen Seiten liefen die Leute herbei, da wurde wohl einer abgeschlachtet, die Stammgäste der Taverne schütteten sich aus vor Lachen. Quincas’ »Wasserschrei« verbreitete sich umgehend als Anekdote vom Markt bis ins Pelourinho-Viertel, vom Largo das Sete Portas zum Dique, von der Calçada nach Itapoã, und ein ferner Handlungsreisender soll die Kunde gar bis nach Deutschland getragen haben, wo er Quincas unter dem exotischen Namen »Jochen Wasserbrüller« bekanntmachte. Quincas Wasserschrei war und blieb er in Bahia, und Quitéria von den Aufgerissenen Augen verwendete in Momenten größter Zärtlichkeit den Kosenamen »Schreierchen«, zwischen zartbeißenden Zähnen.
Auch in den armen Häusern der billigsten Frauen, wo Herumtreiber und Spitzbuben, kleine Schmuggler und Matrosen auf Landgang ein Zuhause fanden, eine Familie und Liebe in den verlorenen Stunden der Nacht, nach dem traurigen Geschäft mit dem Sex, wenn sich die erschöpften Frauen nach ein wenig Zärtlichkeit sehnten, auch dort waren alle untröstlich über die Nachricht vom Tod des Quincas Wasserschrei, und die traurigsten Tränen flossen. Die Frauen weinten, als hätten sie einen nahen Angehörigen verloren, und fühlten sich auf einmal alleingelassen mit ihrem Elend. Einige legten ihr Erspartes zusammen, um dem Toten die schönsten Blumen von Bahia zu kaufen. Was Quitéria von den Aufgerissenen Augen betraf, umringt von der tränenreichen Fürsorge ihrer Hausgenossinnen, so durchdrangen ihre Schreie die Ladeira de São Miguel, erstarben am Largo do Pelourinho und waren herzzerreißend. Nur im Alkohol fand sie Trost, und so pries sie zwischen Schlucken und Schluchzen die Erinnerung an jenen unvergesslichen Liebhaber, den zärtlichsten und verrücktesten von allen, den fröhlichsten und weisesten.
Zusammen dachten sie an Erlebnisse, Einzelheiten und Aussprüche zurück, an denen sich Quincas’ wahre Größe ablesen ließ. Er war es gewesen, der wochenlang den drei Monate alten Sohn von Benedita gehütet hatte, als sie ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Fehlte nur, dass er dem Kind selbst die Brust gegeben hatte. Alles andere hatte er übernommen: Er hatte dem Baby die Windeln gewechselt, ihm den Hintern abgewischt, es gebadet, ihm das Fläschchen gehalten.
War er nicht noch vor wenigen Tagen, alt und betrunken, wie ein furchtloser Krieger zu Clara Boas Verteidigung angetreten, als ihr zwei irregeleitete Jungspunde, Dreckskerle aus besten Familien, bei einer Feier in Vivianas Freudenhaus das Fell gerben wollten? Und was für ein angenehmer Gast er doch immer gewesen war am großen Esszimmertisch um die Mittagszeit … Wer kannte lustigere Geschichten, wer tröstete besser über Liebesleid hinweg, wer war wie ein Vater oder wie ein älterer Bruder? Am späten Nachmittag kippte Quitéria von den Aufgerissenen Augen vom Stuhl, ließ sich ins Bett bringen und schlief mit ihren Erinnerungen ein. Mehrere Frauen beschlossen, an diesem Abend nicht nach Männern zu suchen oder welche zu empfangen, sie waren in Trauer. Als wäre Gründonnerstag oder Karfreitag.
8
Am frühen Abend, als in der Stadt die Lichter angingen und die Menschen von der Arbeit heimkehrten, gingen die vier engsten Freunde des Quincas Wasserschrei – Sperling, der Schwarze Pastinha, der Gefreite Martim und Flinkfuß – die Ladeira do Tabuão hinab, auf dem Weg zum Zimmer des Toten. Der Wahrheit zuliebe muss gesagt werden, dass sie noch nicht betrunken waren. Sie hatten ihre paar Gläser intus, zweifellos, erschüttert, wie sie waren ob der Nachricht, aber das Rot ihrer Augen kam von den vergossenen Tränen, vom Schmerz ohne Maß, und dasselbe
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