Zwei Geschichten von der See
sonnengegerbten Seeleute, kein Hehl aus ihrer enttäuschten Überraschung: Wie konnte es sein, dass dieser Tod in einem Zimmer auf der Ladeira do Tabuão geschehen war, wie konnte der »alte Seemann« in einem Bett das Zeitliche segnen? Hatte Quincas Wasserschrei nicht entschieden erklärt, und das so oft, in einem Ton und einer Art, die noch den Ungläubigsten hätten überzeugen können, dass er niemals an Land sterben würde, dass allein eine Grabstätte eines Schelms wie ihm würdig wäre: das in Mondschein getauchte Meer, die endlosen Wasser?
Wenn er als Ehrengast am Heck eines Segelboots saß, vor einem spektakulären Fischgericht, umweht vom Duft der Tontöpfe, und die Cachaçaflasche von Hand zu Hand ging, während Gitarrensaiten angeschlagen wurden, so gab es immer einen Moment, in dem sein Seemannsinstinkt erwachte. Er stand auf, mit schwankendem Gang, der Schnaps gab ihm das taumelnde Gleichgewicht der Seeleute, und dann erklärte er sich zum »alten Seemann«. Ein alter Seemann ohne Schiff und ohne Meer, hoffnungslos an Land, doch nicht durch eigene Schuld. Denn für das Meer sei er geboren, dazu, Segel zu hissen und das Steuerruder zu führen, die Wogen zu zähmen in stürmischer Nacht. Sein Schicksal sei unerfüllt geblieben, zum Kapitän eines Schiffs hätte er es bringen können, gekleidet in blaues Tuch, die Pfeife im Mund. Doch trotz allem hatte er noch lange nicht aufgehört, der Seemann zu sein, zu dem seine Mutter Madalena ihn geboren hatte, die Enkelin eines Ersten Offiziers, seine Beziehung zur See rührte vom Urgroßvater her, und hätten sie ihm ein Segelboot anvertraut, er wäre imstande gewesen, es hinaus aufs Meer zu lenken, nicht nach Maragogipe oder Cachoeira gleich um die Ecke, sondern zu den fernen Küsten Afrikas, obwohl er doch nie zur See gefahren war. Er habe das im Blut, sagte er, über die Seefahrt brauche er nichts zu lernen, er sei mit diesem Wissen geboren. Wenn unter den geschätzten Anwesenden jemand Zweifel habe, solle er sie nur vorbringen … Er hob die Flasche, trank in großen Schlucken. Die Skipper der Segelboote zweifelten nicht, das konnte durchaus so sein. Im Hafen und an den Stränden wussten die Kinder von Geburt an um die Dinge des Meeres, wozu nach Erklärungen suchen für solche Rätsel. Und dann tat Quincas Wasserschrei seinen feierlichen Schwur: Dem Meer allein behalte er die Ehre seiner letzten Stunde vor, seines abschließenden Augenblicks. Ihn solle man nicht sechs Fuß unter die Erde bringen, ah! Ihn nicht! Wenn seine Stunde schlage, werde er nach der Freiheit des Meeres verlangen, den Reisen, die er zu Lebzeiten nicht getan, den gewagtesten Überfahrten, den Taten ohnegleichen. Mestre Manuel, ohne Nerven und ohne Alter, der Mutigste unter den Skippern, wiegte zustimmend den Kopf. Die anderen, die das Leben gelehrt hatte, an nichts zu zweifeln, pflichteten ebenfalls bei, nahmen noch einen Schluck aus der Pulle. Die Gitarren ertönten, besangen den Zauber der Nächte auf dem Meer, die schicksalhafte Anziehung von Janaína. Der »alte Seemann« sang lauter als alle anderen.
Warum also dieser plötzliche Tod in einem Zimmer an der Ladeira do Tabuão? Es war nicht zu fassen, die Skipper hörten die Kunde, ohne so recht daran glauben zu können. Quincas Wasserschrei neigte zu Schabernack, mehr als einmal hatte er die halbe Welt an der Nase herumgeführt.
Die Spieler unterbrachen ihre aufregenden Partien, ob Porrinha, Ronda oder Sete-e-meio, ohne noch an Gewinne zu denken, wie vor den Kopf geschlagen. War Quincas nicht ihr unbestrittener Anführer? Der Schatten des Spätnachmittags legte sich über sie wie ein schweres Trauergewand. In den Bars, in den Kneipen, am Tresen von Tavernen und Ladenlokalen oder wo immer Schnaps getrunken wurde, herrschte auf einmal Traurigkeit, und die Zeche ging auf Rechnung des unvermeidlichen Verlusts. Wer konnte besser trinken als er, der niemals völlig die Beherrschung verlor, sondern umso klarer und geistreicher wurde, je mehr Branntwein er hinunterkippte? Ein unvergleichlicher Kenner, wenn es darum ging, die Marke zu erraten, die Herkunft der verschiedensten Getränke, er kannte sie allesamt in ihren Nuancen von Farbe, Geschmack und Aroma. Seit wie vielen Jahren hatte er kein Wasser mehr angefasst? Seit dem Tag, an dem er auf den Beinamen Wasserschrei getauft worden war.
Nicht, dass eine denkwürdige Begebenheit dahintersteckte oder gar ein Abenteuer. Doch es lohnt sich, die Episode wiederzugeben, denn von jenem fernen
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