Zwei Geschichten von der See
gilt für ihre brüchigen Stimmen und unsicheren Schritte. Wie soll man völlig nüchtern bleiben, wenn ein Freund stirbt, den man schon so lange kennt, der beste aller Genossen, der vollendetste unter den Herumtreibern von Bahia? Was die Flasche angeht, die der Gefreite Martim unter dem Hemd versteckt haben soll, so ist das niemals bewiesen worden.
Zu jener Dämmerstunde, am geheimnisvollen Anfang der Nacht, wirkte der Tote ein klein wenig müde. Vanda entging das nicht. Grund genug gab es ja: Er hatte den Nachmittag damit verbracht, zu lachen, hässliche Ausdrücke vor sich hin zu murmeln, ihr Grimassen zu schneiden. Nicht einmal als Leonardo und Onkel Eduardo eintrafen, gegen fünf Uhr, nicht einmal da gab Quincas Ruhe. Er beleidigte Leonardo: »Du Trottel!«, lachte Eduardo ins Gesicht. Doch als die Schatten der Dämmerung sich über die Stadt senkten, wurde Quincas selber unruhig. Als wartete er auf etwas, das allmählich überfällig war. Um zu vergessen und sich etwas vorzumachen, unterhielt Vanda sich angeregt mit dem Ehemann, mit Onkel und Tante, und vermied es, den Toten anzusehen. Eigentlich wollte sie nur noch nach Hause gehen, ausspannen, eine Tablette nehmen, um schlafen zu können. Warum nur wanderten Quincas’ Augen bald zum Fenster, bald zur Türe hin?
Die Nachricht hatte die vier Freunde nicht gleichzeitig erreicht. Der Erste, der davon erfahren hatte, war Sperling. Er verwendete seine vielfältigen Talente darauf, an der Baixa dos Sapateiros Werbung für die umliegenden Läden zu machen. In einem alten, abgewetzten Frack und mit bunt bemaltem Gesicht stellte er sich vor den Eingang eines Geschäfts, gegen ein jämmerliches Entgelt, und pries die Waren, ihren günstigen Preis und ihre guten Eigenschaften, sprach Passanten an und unterhielt sie mit allerlei Zoten, er forderte sie zum Eintreten auf, schleppte sie fast schon mit Gewalt hinein. Hin und wieder, wenn der Durst zu drückend wurde – von der Schufterei wurden einem Brust und Kehle trocken –, sprang er rasch in die nächste Kneipe, trank einen Schluck, um die Stimme wieder geschmeidig zu machen. Bei einem dieser Gänge erreichte ihn die Nachricht, brutal wie ein Tritt vor die Brust, und es verschlug ihm die Sprache. Mit gesenktem Kopf machte er sich auf den Rückweg, ging ins Innere des Ladens und sagte dem Syrer, er stehe ihm heute nicht mehr zur Verfügung. Sperling war noch ein junger Bursche, Freude und Leid bewegten ihn tief. Diesen Schicksalsschlag konnte er nicht allein ertragen. Er brauchte die Gesellschaft der anderen Freunde, der üblichen Runde, die sich so oft versammelt hatte.
Der Kreis war fast immer groß, ob gegenüber der Bootsanlegestelle, am samstäglichen Abendmarkt von Água dos Meninos, im Sete-Portas-Viertel, bei der Capoeira-Runde an der Estrada da Liberdade, fast immer hatten sie regen Zulauf: Seemänner, kleine Händler vom Markt, Babalaôs, Capoeira-Übende und allerlei Schlitzohren beteiligten sich an den langen Gesprächen, den Abenteuern, dem bewegten Kartenspiel, am Fischfang im Mondlicht, an den fröhlichen Feiern in der Gegend. Zahlreiche Bewunderer und Freunde besaß Quincas Wasserschrei, aber diese vier waren die Unzertrennlichen. Über Jahre und Jahre waren sie täglich zusammengekommen, hatten sich die Nächte um die Ohren geschlagen, ob mit oder ohne Geld, ob satt von einem guten Mahl oder halbtot vor Hunger, sie hatten geteilt, was es zu trinken gab, einig in Freud und Leid. Sperling wurde jetzt erst klar, wie stark sie verbunden waren, Quincas’ Tod kam ihm wie eine Amputation vor, als hätte man ihm einen Arm geraubt, ein Bein, ihm ein Auge ausgerissen. Jenes Auge des Herzens, von dem die Mãe-de-santo-Senhora sprach, Herrin über alle Weisheit. Zusammen, überlegte Sperling, sollten sie vor Quincas’ Leiche treten.
Er machte sich auf die Suche nach dem Schwarzen Pastinha, der zu der Stunde bestimmt am Largo das Sete Portas war und dem einen oder anderen Paten der Bicho-Lotterie zur Hand ging, um ein paar Münzen für die nächtliche Cachaça zusammenzubekommen. Der Schwarze Pastinha maß fast zwei Meter, und wenn er die Brust vorstreckte, kam er einer Statue gleich, so groß und stark war er. Wenn der Schwarze in Zorn geriet, konnte es keiner mit ihm aufnehmen. Zum Glück kam das nur selten vor, denn Pastinha war von Natur aus ein fröhlicher und gutmütiger Kerl.
Er fand ihn wie erwartet am Largo das Sete Portas. Da hockte er auf dem Gehsteig vor dem kleinen Markt, in Tränen
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