Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
Vom Netzwerk:
Armeeangehöriger sei er gegenüber jeglichem Gerede, das seinen Ruf in Zweifel ziehe, besonders empfindlich. So empfindlich, dass er sich im Falle einer weiteren Provokation gezwungen sähe, jemandem die Nase zu brechen. Da wuchs die Begeisterung der jungen Kerle, und die Kraftfahrer rieben sich aufgeregt die Hände. Nichts Ergötzlicheres als eine schöne Prügelei, so spontan und unerwartet. Doch just in diesem Moment, als alles passieren konnte, tauchten Sperling und der Schwarze Pastinha auf, im Gepäck die tragische Nachricht und die Schnapsflasche mit ein paar kümmerlichen Tropfen am Grund. Schon von weitem riefen sie dem Gefreiten entgegen:
    »Er ist tot! Er ist tot!«
    Der Gefreite Martim betrachtete sie mit Kennerblick, verweilte bei der Flasche, genaue Berechnungen anstellend, und sagte dann zu den Versammelten:
    »Da muss was Schwerwiegendes passiert sein, wenn sie schon eine Flasche geleert haben. Entweder Pastinha hat beim Bicho gewonnen, oder Sperling hat eine neue Auserwählte.«
    Da nämlich Sperling ein unheilbarer Romantiker war, wechselte er häufig die Freundin, Opfer blitzartiger Leidenschaften. Jede neue Verbindung wurde gebührend gefeiert, mit Freude am Anfang, mit Trauer und philosophischem Gleichmut, wenn es damit zu Ende ging, kurze Zeit später.
    »Da ist jemand gestorben …«, sagte ein Lastwagenfahrer.
    Der Gefreite Martim spitzte die Ohren.
    »Er ist tot! Er ist tot!«
    Die beiden gingen gebeugt von der Last der Nachricht. Auf dem Weg von Sete Portas bis Água dos Meninos waren sie an der Anlegestelle und an Carmelas Haus vorbeigekommen und hatten vielen Menschen die traurige Neuigkeit mitgeteilt. Warum reagierte wohl jeder auf die Kunde von Quincas’ Ableben damit, dass er unverzüglich eine Flasche öffnete? Es war ja nicht die Schuld dieser Herolde des Schmerzes und der Trauer, dass sie unterwegs so vielen Leuten begegneten, dass Quincas eine solche Unmenge Bekannte und Freunde besaß. An jenem Tag wurde in der Hauptstadt von Bahia viel früher getrunken als sonst. Und dazu bestand ja auch Anlass, nicht alle Tage stirbt ein Quincas Wasserschrei.
    Der Gefreite Martim, der den Streit schon vergessen hatte, die Spielkarten in der reglosen Hand, beobachtete die beiden Freunde mit wachsender Neugier. Sie weinten, jetzt hatte er keinen Zweifel mehr. Die Stimme des Schwarzen Pastinha drang erstickt an sein Ohr:
    »Unser Vater ist tot …«
    »Jesus Christus oder der Gouverneur von Bahia?«, fragte einer der beiden jungen Kerle, der sich offenbar zum Witzbold berufen fühlte. Die Hand des Schwarzen hob ihn hoch, schleuderte ihn zu Boden.
    Allen wurde klar, dass es sich um eine ernste Angelegenheit handeln musste, Sperling hob die Flasche, und sagte:
    »Quincas Wasserschrei ist tot!«
    Martim fielen die Spielkarten aus der Hand. Der misstrauische Händler sah seine schlimmsten Mutmaßungen bestätigt: Asse und Damen, die Karten der Bank, verstreuten sich in rauen Mengen. Doch auch zu ihm war Quincas’ Name vorgedrungen, und er entschloss sich, die Diskussion nicht wiederaufzunehmen. Der Gefreite Martim nahm Sperling die Flasche ab, leerte sie vollends, warf sie verächtlich von sich. Er sah lange auf den Markt, die Lastwagen und Busse auf der Straße, die Ruderboote auf dem Meer, die Leute, die kamen und gingen. Eine plötzliche Leere befiel ihn, er konnte nicht einmal mehr die Vögel in den nahen Käfigen hören, an einem der Marktstände.
    Er war kein Mann, der zu Tränen neigte, ein Soldat weint nicht, auch dann nicht, wenn er keine Uniform mehr trägt. Aber seine Augen wurden feucht, und er verlor jede Spur von prahlerischem Gehabe. Es war fast die Stimme eines Kindes, die da fragte:
    »Wie konnte das passieren?«
    Er schloss sich den anderen an, nachdem er die Karten aufgesammelt hatte, nun mussten sie nur noch Flinkfuß finden. Der hatte keinen festen Ort, außer an Donnerstag- und Sonntagnachmittagen, wenn er unweigerlich in Valdemars Capoeira-Gruppe mitspielte, an der Estrada da Liberdade. Davon abgesehen, führte ihn sein Beruf an abgelegene Orte. Er fing Mäuse und Frösche, um sie an Medizinlabors zu verkaufen, für wissenschaftliche Experimente – was Flinkfuß zu einem gewissen Ansehen verhalf, seine Meinung hatte Gewicht. War er nicht selbst ein Stück weit Gelehrter, unterhielt er sich nicht mit Ärzten, kannte er nicht allerlei schwierige Wörter?
    Erst viele Schritte und mehrere Schlucke später trafen sie ihn, eingehüllt in sein riesiges Jackett, als wäre ihm

Weitere Kostenlose Bücher