Zwei Geschichten von der See
ein Anker gestickt war. Als er auf der Schwelle der Eisdiele den Arm um ihre Hüfte gelegt hatte, um sie auf den Stufen zum Gehsteig zu stützen, wehrte sie sich nicht mehr; so gingen sie in einem Stillschweigen, das beredter war als Worte, zum Hafen zurück, wo der ITA Ladung und Passagiere aufnahm.
Von der Brücke aus sahen der Erste und der Dritte Offizier die beiden daherkommen, Hand in Hand, mit beschwingtem Tanzschritt, die Gesichter von Sonne und Glück übergossen.
»Dein Kommandant scheint sich gehen zu lassen …«, sagte der Dritte Offizier lachend.
Geir Matos, der Erste Offizier, fragte: »Hast du schon mal einen so beherrschten Kapitän gesehen? Einen so hundertprozentigen Kommandanten? Nur Américo, ein Hansdampf in allen Gassen, konnte so eine Perle finden …«
»Perle des Meeres … des japanischen, des chinesischen Meeres, der fernöstlichen Seewege …«
Die mächtigen Ladebäume hoben Zuckersäcke, schwarze Stauer verstauten die Ballen in den Ladeluken.
Wo der Erzähler die Geschichte ohne jeden Vorwand, aber in größter Not unterbricht
Der Leser möge die Unterbrechung und die vielleicht in den letzten Kapiteln beobachteten Schwächen verzeihen. Wenn ich trotz allem weiterschreibe, so deshalb, weil der vom Staatsarchiv festgesetzte Termin für die Einreichung des Originalmanuskripts (begleitet von zwei maschinengeschriebenen Zweitschriften) in wenigen Tagen abläuft. So weiß ich gar nicht mehr, was ich eigentlich schreibe, denn wie kann ich in einer Stunde, wo die ganze Welt über mir zusammenzubrechen droht, an Stil und Satzbau denken?
Ich meine damit freilich nicht die Atom- oder Wasserstoffbombe, den Kalten Krieg, die schwerwiegenden Probleme von Berlin, von Laos, vom Kongo oder von Kuba, auch nicht die Plattform auf dem Mond, von der aus die Welt in die Luft gesprengt werden kann. Wenn das nämlich geschieht, hat unser aller Stündlein geschlagen, und das Unglück vieler ist der Trost der Armen. Ich würde dann nur gerne die genaue Stunde wissen, damit ich mich mit Dondoca ins Bett legen und gemeinsam mit ihr sterben kann.
Ich spreche von dem, was sich hier, in Periperi, in den letzten Tagen unmittelbar nach dem festlichen Jahresbeginn von 1961 ereignet hat, also eines Jahres, das ich in Anbetracht dieser Arbeit mit Hoffnungen auf Ruhm und Geld und in stiller Freude begonnen habe, dank der friedlichen Eintracht, die bisher im Heim des Beco das Três Borboletas geherrscht hat, wo Dondoca des Nachmittags den Hochverdienten und abends den Verfasser dieser Schrift, eures ergebenen Dieners, empfing.
Jawohl, er hat alles entdeckt, das süße, kostenlose Leben ist nun zu Ende. In den drei vom Sturm der Leidenschaft und der Eifersucht, vom Gewitter der Vorwürfe und der Rachegelüste aufgewühlten Seelen herrscht größte Verwirrung. Der Teufel ist los: Es hat Geschrei und Gefluche gegeben, Beleidigungen, hämische Kritik, böse Anschuldigungen, Entschuldigungen, Bitten um Verzeihung, gespannte Verhältnisse, Entzug der monatlichen Unterstützung und der Geschenke, Tränen, flehende Blicke und Blicke tödlichen Hasses, Rachegelübde und sogar eine Tracht Prügel.
Als gewissenhafter Historiker muss ich methodisch vorgehen, weiß jedoch nicht, ob es mir gelingen wird, da mein Herz zerstückelt ist und mein Kopf fürchterlich schmerzt. Eigentlich müsste Herr Dr. Siqueira diese fürchterlichen Kopfschmerzen haben, schließlich wächst das verästelte Geweih auf seiner Stirn und nicht auf der meinen, was mir zum Trost gereichen müsste. Aber das tut es nicht. Wie soll ich mich trösten, wenn über mir das Damoklesschwert schwebt, dass ich meine Dondoca nicht mehr sehen, dass ich ihr aus dem Weg gehen soll und nicht mehr ihr schamlos kristallklares Lachen, ihre verlöschende Stimme hören darf, wenn sie mich bitten will, ihr noch eine Geschichte vom Herrn Kommandanten zu erzählen?
Es geschah ganz plötzlich, wenn auch Argwohn in der Luft, das heißt in den Augen und Gebärden des Juristen, gelegen hatte. Ich habe bereits auf bedeutsame Veränderungen in der Haltung des Herrn Oberlandesgerichtsrats in seinem Verhältnis zu mir und zu Dondoca hingewiesen. Das arme verletzte Vögelchen stellte nämlich eines Tages fest, dass die Leuchte der Jurisprudenz ihr Leintuch beschnüffelte, ob nicht ein fremder Geruch, der Schweiß eines anderen Mannes, festzustellen sei. Daraufhin wurde sein Verhalten mir gegenüber barsch und mürrisch, fortan blickte er mich starr und streng an, ohne sich von
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