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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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der Schlaf war, Kinder liefen auf den Platz, auf dem sich die Fischer und Eisenbahnarbeiter versammelt hatten und für die der Kommandant zum ersten Mal an diesem denkwürdigen Tag eine Rede hielt. Nach und nach kamen in Pyjamas der alte José Paulo, Adriano, Emílio Fagundes, Rúi Pessoa und die Übrigen angetrottet. Zequinha Curvelo, der in strammer Haltung neben dem Fahnenmast stand, trug eine gelbgrüne Litze im Knopfloch.
    Um zehn Uhr fand der übliche Festakt in der Volksschule statt, erweitert durch das Aufsagen von Castro Alves’ »Ode auf den zweiten Juli« und die neu hinzugekommene Rede des Kommandanten, eine mit prunkvollen Bildern ausgeschmückte, tiefsinnige Ansprache. Gemeinsam mit Labatut, Maria Quitéria, dem Periquitão, kehrte Vasco Moscoso de Aragão von den Schlachtfeldern von Cabrito und Pirajá, von den Schlachten bei Itaparica und Cachoeira heim in die Stadt Salvador, auf dem Weg über Lapinha und Soledade; ergriffen beugte er das Knie vor dem Leichnam Joana Angélicas, die vor dem Lapa-Kloster der reuigen Sünderinnen gefallen war; ein für alle Mal vertrieb er die portugiesischen Kolonisatoren aus dem Land. Der Kommandant übertraf sich selbst, er platzte bald vor Empörung gegen die lusitanischen Unterdrücker, glühend feierte er das Andenken der tapferen bahianischen Vaterlandsbefreier, denn am zweiten Juli war die Unabhängigkeit des Landes Wahrheit geworden, an diesem Tag hatte das Blut der Bahianer dem Schrei von Piranga Wirklichkeit verliehen.
    Nach dem Singen befehligte er den Festmarsch der beiden Sieger, der Lehrer und Schüler, Zequinha Curvelos und der Einwohner durch die Hauptstraße bis zum Stadtplatz, wobei er mit kriegerischer Stimme »Im Gleichschritt marsch!«, »Rechts schwenkt – marsch!«, »Achtung, die Augen – links!« kommandierte. Die Uniformknöpfe blitzten in der Sonne, der Silberstaub eines Rieselregens begleitete die marschierende Kolonne.
    Auf dem kleinen Platz nahmen Schulkinder, Lehrer und Lehrerinnen, Zequinha, die Gepäckträger Aufstellung – Caco Podre stand nicht mehr allzu sicher auf seinen Beinen, er hatte schon in aller Herrgottsfrühe zu trinken begonnen –, dann leisteten alle den Fahneneid. Am Spätnachmittag hielt der Kommandant anlässlich des Niederholens der Fahnen vor versammelter Bevölkerung nochmals eine kurze Ansprache. Diese Schlusszeremonie wurde allerdings durch einen bedauerlichen Vorfall gestört: Caco Podre war bereits sternhagelbetrunken und nicht mehr zurechnungsfähig, so dass er keinen Ton aus seiner Trompete herausbrachte, und ein Schüler mit seinem Horn konnte ihn nicht gleichwertig ersetzen. Trotzdem verlor das Fest nicht an Glanz: Bombengeknalle, Raketengesprüh, Böllerschüsse wogen den Ausfall des Trompetengeschmetters weitgehend auf. Misael war ziemlich nüchtern geblieben.
    »Jawohl, Senhor«, meinte nachher der alte Marreco, »erst muss der Kommandant sich in Periperi niederlassen, damit unsere Zweite-Juli-Feier sich sehen lassen kann … Der ist ein toller Kerl!«
    Nun war der Ruf des Kommandanten vollends gefestigt; gleichsam wie ein Standbild auf hohem Sockel stieg er in der Wertschätzung und Bewunderung seiner Nachbarn von Periperi, endgültig und charismatisch. Nie war dort ein Mensch so angesehen, so einstimmig gefeiert und geachtet worden. Die Nachricht von jener Zweiten-Juli-Feier trug seinen Ruhm in die hintersten Winkel der Vorstadtknotenpunkte der
Leste Brasileira.
In weitem Umkreis wurde fortan kein Finger ohne den weisen Rat des Kommandanten gerührt.
    Und plötzlich, kurz nach dem glanzvollen zweiten Juli, an einem für stille Fröhlichkeit wie geschaffenen leuchtenden Tag, brach das Gewitter los. Wild schreiend, von Seligkeit taumelnd, hastig, stolperte Chico Pacheco auf dem Bahnhof aus dem Zug.
    »Er hat seinen Prozess gewonnen«, dachte Rúi Pessoa, als er ihn aussteigen sah.
    Kaum hatte Pacheco den Fuß auf den Bahnsteig gesetzt, verkündete er Rúi, dem Bahnhofsvorsteher, den Beamten, den Arbeitern, die die Schienen schmierten, Caco Podre und Misael:
    »Hab ich’s nicht gesagt? Hab ich euch nicht gewarnt? Ich habe euch alle darauf aufmerksam gemacht! Mir hat er nichts weisgemacht. Ein Schaumschläger ist er, nichts weiter. Er hat in seinem Leben nie auf einer Decksplanke gestanden!«
    Dann rannte er von Haus zu Haus, suchte alle auf, einen nach dem andern, sogar Zequinha Curvelo stattete er einen Besuch ab; in seiner Überlegenheit, in seinem Triumph konnte er es sich leisten, großzügig

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