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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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zu sein. Von Zeit zu Zeit holte er ein schwarzes Merkbuch voll von Aufzeichnungen hervor, das er in seiner Rocktasche mitführte. Unter schallendem Gelächter und wüsten Beschimpfungen gegen den Kommandanten wie »Der beschissenste Windbeutel, den die Welt je gesehen hat!« erzählte er wieder und wieder seine Geschichte.
    Es gab solche, die dem Bericht aufs Wort glaubten und den Kommandanten unverzüglich mit Verachtung straften und loslachten, wenn er vorüberschritt. Andere – wenige – meinten, beide Seiten hätten übertrieben; zum einen sei Vasco kein so großer Held, zum andern sei Chico Pachecos Geschichte nicht ganz stichhaltig. Dritte glaubten kein Wort von dem Bericht des früheren Steuereinnehmers und hielten dem umstrittenen Kapitän auf großer Fahrt standhaft die Treue. Unter den Ersten war Adriano Meira, unter den Letzten Zequinha Curvelo, zwischen beiden stand der alte José Paulo, der angesehene Marreco, in dem Versuch, beide Pole zu versöhnen.
    Eine schwierige, vielleicht unmögliche Versöhnung, da die Polemik eine in Periperi bisher unbekannte Giftigkeit annahm. Die Gemüter erregten sich, die Gegensätze prallten aufeinander, die ältesten Freunde schnitten einander; um ein Haar hätten Chico Pacheco und Zequinha Curvelo Ohrfeigen ausgetauscht. Der Badeort teilte sich in zwei Lager, der sogar in der Presse der Hauptstadt gefeierte alte Vorstadtfriede war zu Ende. Wie ein Sturmwind fegte die Leidenschaft über Periperi hin.
    Sein Merkbuch in der Hand, gab Chico Pacheco immer wieder seine Entdeckungen, seine überwältigende Geschichte zum Besten, eine Geschichte, die aus dem Jahrhundertbeginn und der Regierungszeit José Marcelinos stammte.

Zweite Episode
    Textgetreue und vollständige Wiedergabe der Erzählung Chico Pachecos mit einer eingehenden Schilderung der Sitten und des Lebens der Stadt Salvador zu Beginn des Jahrhunderts, mit berühmten Regierungsgestalten und reichen Kaufherrn, mit blasierten höheren Töchtern und vortrefflichen jungen Mädchen
    Von der Pension Monte Carlo und fünf bedeutenden Herren
    Glitzernd von Juwelen – Ringe an den Fingern, Halsbänder um den Hals, ein Diadem auf dem Haar, Gehänge an den Ohren, die Schleppe des Abendkleides hinter sich herschleifend, die üppige Büste in das Korsett gepresst, die Lippen zu einem Lächeln halb geöffnet, lief Carol ihren Besuchern entgegen, als diese auf dem Treppenabsatz auftauchten:
    »Endlich … Ich dachte schon, ihr kämt heute nicht mehr.«
    Sie trug ihre sechsundfünfzig ausgiebig gelebten Jahre und ihre vergeblich bekämpfte Korpulenz, die sich mit den Jahren und den in Pfandbriefen und Mietshäusern vorzüglich angelegten Ersparnissen eingestellt hatte, mit vollendeter Grazie. Sie hatte eine erfolgreiche, arbeitsame, mühselige Laufbahn hinter sich. Sie hatte vierzig Jahre in Frauenhäusern zugebracht, zuerst als Pensionärin, dann als Eigentümerin, seit jenem fernen Tag, an dem ein Handlungsreisender sie auf der Durchreise durch Garanhuns mitgenommen hatte, weil er sie mit seiner Zungenfertigkeit und seinen Großstadtmanieren beschwatzt und ihr das Blaue vom Himmel herunter versprochen hatte. Und nur, um sie eine Woche später in Recife sitzenzulassen, ein Kind von sechzehn Jahren, ohne einen Pfennig in ihrem Handtäschchen, ohne Kenntnisse, ohne Erfahrung, ein Kind, das, zwischen den Brücken hin- und herirrend, das Wasser des Flusses wie einen Ausweg anstarrte.
    An gewissen stillen Nachmittagen ruft sich Carol, in dem österreichischen Schaukelstuhl des Esszimmers wie in einem Thronsessel ausgestreckt, ihren Schmuckkasten auf den massigen Schenkeln, jene beklemmende Nacht ins Gedächtnis zurück: die kleine Carolina entehrt, ein Schluchzen in der Kehle, ein Zittern in den Beinen, Straßen und Schrecknissen der Stadt ausgeliefert, nahe daran, sich den Wassern des Capibaribe anzuvertrauen. Eines nach dem anderen nahm sie ihre Brillantringe, das echte Perlenhalsband, Broschen und Armbänder, Smaragde und Topase in die Hand und dachte wieder an jene Nacht, in der sie nichts besessen hatte als Müdigkeit und Angst.
    Bald darauf hieß sie Carol, und nun kann sie bei der Erinnerung an die damaligen Selbstmordgedanken und den Handlungsreisenden lächeln. Er war ihr wie ein Märchenprinz erschienen, als er mit seinen Musterkoffern und seinem albernen Geschwätz in Garanhuns auftauchte: In Wahrheit war er ein armer Teufel, ohne Reichtümer, ohne Verführungsgaben. Prinzen waren diejenigen, die jetzt die Stufen der

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