Zwei Geschichten von der See
Geschäftsleben vorbereitet zu haben? Er hatte die gleichen träumerischen Augen wie der Vater, das gleiche mit Gott und der Welt zufriedene Lächeln, die gleiche völlige Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen des Bürolebens – es war ein Verhängnis. Er musste Vorkehrungen, und zwar ernstliche Vorkehrungen treffen, sollte die mächtige, angesehene Firma, sein Lebenswerk, in den Händen des Enkels nicht zu Nichts zerrinnen.
Und in der Tat: Als er sein Ende nahen fühlte, wandelte er die offene Handelsgesellschaft in eine Kommanditgesellschaft um, wobei er einige seiner ältesten Freunde und tüchtigen Angestellten zu aktiven und stillen Teilhabern machte. Sein erster Angestellter und Prokurist, Rafael Menendez, trat als bedeutendster Teilhaber ins Geschäft; ihm übergab er testamentarisch die Geschäftsführung und somit die Zukunft des Unternehmens. Vasco erbte den großväterlichen Anteil, der ihm die Gesamtleitung der Firma, den größten Gewinnanteil, ein beträchtliches Vermögen einbrachte und keinerlei Verantwortung auflud.
So fand er sich frei von Belastung, von fester Arbeitszeit und Verpflichtungen, dafür aber reichlich mit Geld versehen. Er überließ Menendez sämtliche Entscheidungen und sah sich nur einmal zu einem Einspruch gezwungen, als nämlich der Spanier den alten Giovanni, einen Packer, entlassen wollte, der kurz nach der Gründung in die Firma eingetreten war. Mehr als vierzig Jahre lang hatte Giovanni ohne einen Ruhetag, ohne irgendeine Beschwerde, unermüdlich Ballen um Ballen vom Lager zu den Karren geschleppt; als Nachtwächter des Gebäudes hatte er auf den Säcken im Warenlager geschlafen und die Türe zum Kontor den verspäteten Kunden geöffnet, die den Stundenplan des alten Moscoso über den Haufen zu werfen wagten. Vasco war dem Schwarzen Giovanni dankbar, weil dieser ihn stets beschützt hatte, seit den ersten leidigen Tagen seines Eintritts in das verhasste Gebäude im Alter von zehn Jahren. Nachts hatte Giovanni ihm Geschichten erzählt – er war in seiner Jugend Schiffsjunge gewesen – und ihm von den Meeren und Häfen gesprochen. Er war als João und Sklave geboren worden, war in die Freiheit aufs Meer geflüchtet, wo die italienische Schiffsbesatzung ihn für immer in Giovanni umtaufte. Er als Einziger hatte Mitleid mit dem Kind, das eingesperrt war in dem düsteren weiträumigen Zwischengeschoss mit seinem benebelnden Gewürzgeruch. Er war in der Firma alt, siebzig Jahre alt geworden, seine Kräfte ließen nach, schon war er seiner Arbeit nicht mehr gewachsen. Menendez beschloss, ihn zu entlassen und an seiner Stelle einen anderen Träger einzustellen.
Selbst nach dem Tode des Großvaters hatte Vasco trotz seiner Stellung als Chef heimlichen Respekt vor Menendez. Der Spanier war einer jener katzenfreundlichen Männer, die ihrem Vorgesetzten schmeicheln, aber ihre Untergebenen treten. Mit eiserner Faust hatte er die Leitung des glänzend gehenden Geschäfts übernommen. Aber seine Angestellten klagten, nun sei es schlimmer als zur Zeit des alten Moscoso. Vasco fürchtete den kühlen kritischen Blick des Spaniers, seine Art zu reden, ohne je die Stimme zu erheben, ohne sich zu erregen, aber dabei mit unbeugsamer Entschlossenheit vorzugehen. Menendez hatte Vasco als Lehrling und jungen Angestellten nie wie die anderen zurechtgewiesen, er hatte aber – und das wusste Vasco – dem Großvater jeden seiner Fehler und die geringste Verletzung der Hausordnung gemeldet, sogar die seltenen nächtlichen Eskapaden des bartflaumgezierten Halbwüchsigen, die der Schwarze Giovanni zu vertuschen suchte. Nun buckelte Menendez vor ihm und brachte ihm jene früher dem alten Moscoso bezeugte Achtung und Unterwürfigkeit entgegen. Dennoch versuchte er seine Entscheidung durchzudrücken, als Vasco besorgt und ungehalten auf den Fall des entlassenen Schwarzen zu sprechen kam. Giovanni hatte ihn am Vorabend über den Vorfall in Kenntnis gesetzt. Menendez hatte ihm seinen letzten Hungerlohn ausgezahlt und ihn kurzerhand auf die Straße gesetzt. Giovanni war soeben siebzig Jahre alt geworden, er stand nicht mehr so fest auf seinen Beinen wie früher, seine Arme hatten ihre Bärenkraft eingebüßt. Er fand Vasco in einer Bar im Kreise seiner Freunde und setzte ihm mit zitternder Stimme und müden Augen, die blinzelten, um nicht zu weinen, die Lage auseinander:
»Die Firma hat meine Muskeln aufgefressen, nun will sie die Knochen wegwerfen …«
»Das kommt nicht in die Tüte …«,
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