Zwei Geschichten von der See
für einen Tagedieb, für einen armen Teufel, der zu nichts anderem taugte als zur Fron eines kommerziellen Achtstundentages mit seinem Stockfisch, seinen Kartoffeln und Stapelartikeln? Mit wem glaubte er seine Tochter verheiratet zu haben? Er schien sein Talent, seine Gaben, seine Beziehungen, seine Pläne nicht zu ahnen. Der geschätzte Herr Schwiegervater sollte sich wegen einer Stellung für ihn keine grauen Haare wachsen lassen. Seine Zukunft war gesichert, und wenn er seine Tätigkeit noch nicht begonnen hatte, so nur, weil ihm die Wahl zwischen fünf oder sechs Positionen – die eine beneidenswerter als die andere – schwerfiel, die ihm von seinen Freunden, Männern von höchstem Ruf, angeboten worden waren. Aber auch Herrn Moscoso würden die Freundschaften seines Schwiegersohnes zugutekommen: Er würde für die Firma Lieferungen an den Staat, an verschiedene Körperschaften besorgen – ein leicht verdientes Geld. Was würde zum Beispiel Senhor Moscoso zu einem Jahreskontrakt für die Lieferung von Trockenfleisch und Stockfisch an die Militärpolizei sagen? Er, Aragão, brauchte dem Hauptmann, Chef der Intendanz, nur ein Wörtchen zuzuflüstern, und das Geschäft war in der Tasche. Herr Moscoso durfte den Abschluss ruhig als eine todsichere Sache, als gefundenes Fressen ansehen. Und zwar ohne Abzüge, denn er, sein Schwiegersohn und Freund, würde keinen Réis Kommission nehmen.
Während der fünf Jahre seiner Ehe verharrte er in der gleichen Unentschlossenheit, ohne sich je für eine der fünf oder sechs großartigen Positionen oder für die neuen Angebote seiner unglaublich einflussreichen Freunde zu entscheiden. Auch errang er nie einen einzigen offiziellen Lieferungsvertrag für die Firma und verschob alles zwar unwiderruflich, aber mit konstanter Bosheit auf den nächsten Tag. Trotzdem blieb er starr in seiner Weigerung, einen festen Posten bei seinem Schwiegervater anzunehmen, und betrachtete dessen wiederholte Angebote fast als Beleidigung und Herausforderung. Er war eben ein eigenwilliger Charakter, und zwar eine so unversehrte, unbeugsame Persönlichkeit, dass er nie den Fuß in das dreistöckige Gebäude setzte, das er nur von außen kannte, wenn er die Steilgasse Montanha entlangging.
Als er unerwartet starb – niemand hatte ihm eine Herzkrankheit zugetraut –, tauchten Wucherer mit verfallenen Wechseln, den verschiedenartigsten Anleihen und bleistiftgekritzelten Gutscheinen auf; es war eine Riesensumme, die anzuerkennen der alte José Moscoso, selbst ein ausgesprochener Charakter, sich ganz und gar weigerte. Vom Tode des »Schwätzers Aragão« darf gesagt werden, dass er von seiner Frau, von seinen vielen Bar-Freunden und von seinen zahlreichen Gläubigern beweint wurde, die über das steinerne Herz des Schwiegervaters entsetzt waren.
Die Witwe überlebte den Schmerz über den Verlust des Angebeteten nicht, wenige Monate später wurde sie in derselben Marmorgruft beigesetzt. Keine Minute hatte sie an ihrem Gatten, an seiner Größe, seiner Treue, seiner liebenden Hingabe gezweifelt. In gewisser Weise war »Schwätzer Aragão« auch ein Mustergatte, der den ganzen Nachmittag seiner Frau widmete, der sie wie ein verliebter Puter verzärtelte, sie wie ein verwöhntes Kind umhegte und ihr sein Maß Liebe mit Dauerhaftigkeit und Kennerschaft angedeihen ließ. Nach dem Abendessen gehörte er freilich dem Nachtleben Bahias, stets riefen ihn wichtige politische und geschäftliche Sitzungen außer Haus, wie er seiner Frau geflissentlich auseinandersetzte. Bei Tagesanbruch kehrte er heim, nach Schnaps und Weib und der obligaten Zigarre riechend, das obligate zufriedene Lächeln auf den Lippen. Nicht einmal die Geburt des Sohnes, der ihn noch enger an seine Frau band, vermochte – nach Ansicht des alten Moscoso – die Regelmäßigkeit seiner unregelmäßigen Gewohnheiten zu beeinflussen. Er wachte gegen Mittag auf, aß und trank nur vom Besten und Allerbesten, leistete nachmittags Frau und Kind Gesellschaft und hielt sich Abend und Nacht frei für das Leben in Bars und Bordellen, für Plaudereien und den Austausch von Anekdoten mit den Freunden. Nur eine Tugend ließ der Schwiegervater bei ihm gelten: Er sah ihn nie betrunken, da sein Trinkvermögen wahrhaft erstaunlich war.
Über sein Pult gebeugt, musterte der alte Moscoso den Enkel und erkannte in ihm, beklemmenden Angedenkens, seinen Schwiegersohn. Was hatte es genützt, ihn als zehnjährigen Knaben in die Firma gesteckt und fürs
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