Zwei Geschichten von der See
alten Sohnes war der Grund für ihren Ekel vor dem Leben, für ihre Abneigung gegen die trügerischen Freuden der Welt. Das von der Mutter angebetete Kind erkrankte ganz plötzlich und anscheinend grundlos an einem nicht erkennbaren Fieber und starb, während Gracinha und ihr Mann auf einem an Bord eines Kriegsschiffes abgehaltenen Fest weilten. Als die Nachricht sie erreichte, tanzte sie gerade mit Georges. Sofort gab sie sich die Schuld für den Tod ihres Kindes, legte für immer Trauer an, nahm Abschied von Festen und Belustigungen und wandte sich dem Himmel, wo sie das Unschuldslamm wähnte, und der Kirche zu; so hoffte sie auf die Vergebung Gottes und die Möglichkeit eines Wiedersehens mit dem Sohn nach ihrem Tod, den sie in ihren täglichen Gebeten erflehte. Ihre Abscheu gegen weltliche Güter schloss auch ihren Mann ein, zumindest was körperliche Berührung betraf. Georges war von dem Tod des Kindes, dem er den Spitznamen »Matrose« gegeben und für das er eine glänzende Karriere gewünscht hatte, tief getroffen. Aber deshalb ließ er den Kopf nicht hängen, sondern versuchte seine Frau von der Notwendigkeit weiterer Kinder zu überzeugen, um die vom »Matrosen« gelassene Lücke auszufüllen. Sie aber stieß ihn angewidert zurück und flehte ihn unter Tränen an, sie nie wieder für so sündige Zwecke zu bedrängen. Diese Dinge hatten für sie ein für alle Mal aufgehört. Sie bat sogar um ein Schlafzimmer für sich und riet Georges, auch er solle den falschen Vergnügungen der Welt den Rücken kehren, sein Gesicht Gott zuwenden und für die begangenen Fehler auf Seine erbarmungsvolle Vergebung harren. Zunächst hatte er für die Verzweiflung seiner Frau völliges Verständnis, wollte ihr dafür jedoch nur eine kleine Spanne, etwa zwei oder drei Monate, einräumen. Sie aber verschloss sich endgültig in ihr Unglück und wurde ein Gespenst, das durchs Haus irrte, sie peinigte ihre Lippen mit unaufhörlichem Gebetsgemurmel und verbarg ihre kaum entfaltete Schönheit unter schwarzen Kleidern und endlosen Tränen. Nun schlief sie im Kinderzimmer, das sie in eine Art Weihkapelle umgewandelt hatte. Eine Zeitlang versuchte Georges, die Schranken des Schmerzes und der Verlassenheit zu durchbrechen, aber vergebens. Mittlerweile war er befördert und versetzt worden, Gracinha blieb jedoch unberührt von allem, was nicht das Andenken an ihr Kind und das ewige Leben betraf. So wusch er seine Hände in Unschuld und begann, sein eigenes Leben zu leben.
Zu Hause hielt er sich nicht länger auf, als unbedingt notwendig war. Er kümmerte sich um die Probleme der Hafenverwaltung und der Seemannsschule, die durch einen kleinen Park von Bahias Meer getrennt war. Nach dem Dienst zog er Zivil an und suchte Jerônimo im Regierungspalast, den Obersten im Stab des 19 . Jägerbataillons auf und fuhr unmittelbar nach Barrls, wo Vasco Moscoso de Aragão in dem vom Großvater geerbten Hause wohnte, in dem er auch seine ersten Kindheitsjahre verbracht hatte. Dann zogen sie zu einer Partie Billard los, nachher würfelten sie den Aperitif aus und aßen gemeinsam zu Abend, um sich anschließend den Frauen oder dem Poker zu widmen.
Vascos Freundschaft mit jener Gruppe einflussreicher Männer hatte geraume Zeit vorher, gerade im Zusammenhang mit dem Kapitän Georges, in einem Kabarett begonnen. In Zivil sah Georges mit seinen blauen Augen und seinem blonden Haar eher wie ein ausländischer Vergnügungsreisender aus, niemand hätte in ihm den Fregattenkapitän erkannt. Vasco saß allein an einem strategisch günstigen Tisch, in der Nähe der Bühne, auf der Soraia, eine auf der Durchreise befindliche Tänzerin, ihre Künste darbot. Er hatte von ihr und ihren Tänzen durch einen in der Unterstadt ansässigen Freund, einen schwedischen Importeur von Tabak, Piaçava-Faser und Kakao mit dem Vornamen Johann und einem unaussprechbaren Nachnamen gehört. Am Nebentisch hatte der Hafenkommandant Platz genommen, und Vasco, der ihn für einen Europäer hielt, vertrieb sich eine Weile die Zeit damit, seine Staatsangehörigkeit erraten zu wollen: War er Italiener oder Franzose, Deutscher oder Holländer? Und wenn das semmelblonde Haar und die himmelblauen Augen nicht genügten, so wies die Tatsache, dass der feine Herr sich in Gesellschaft einer appetitlichen dunklen Mulattin befand, ihn umso deutlicher als Gringo aus. Vasco verlor sich in Nachsinnen. Merkwürdig, welche Anziehungskraft Schwarze und Mulattinnen auf Ausländer ausübten! Kaum sahen
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