Zwei Mädels. Ein Weg. Ein Zelt.
die bessere Pilger-Eigenschaft, weil man den Weg nur richtig erleben kann und ihn mit all seinen kleinen Wundern intensiv wahrnimmt, wenn man ihn nicht wie irrsinnig einfach nur überrennt. Wie angestochen Kilometer zu schrubben, ist normalerweise typisch für mich.
Hier aber bin ich, dank Cornelia, ein anderer Mensch. Eigentlich laufe ich in meinen Aktiv- und Sporturlauben mal fix einen bayerischen Berg hoch, mache mal eben noch einen Klettersteig, bevor es dann stramm bergab geht. Das ist auch toll so. Ich liebe das Gefühl der völligen körperlichen Ausgelaugtheit und je mehr Gegenwind und unwegsameres Gelände, umso wohler fühle ich mich und umso stärker ist auch mein Drang weiterzukämpfen; aber hierbei handelt es nicht um einen Sporturlaub, sondern um eine Pilgerreise. Ich möchte mein Betriebssystem hier mal komplett herunterfahren und in und um mich schauen und die Dinge einfach laufen lassen. Ein Hoch also auf meine Freundin, die dazu beigetragen hat, dass ich die Brombeeren am Wegesrand entdecke, mich über Ameisenstraßen freue, kleine Krabbelkäfer fotografiere und von Zeit zu Zeit meinen Rucksack absetze, um mich netten Gesprächen mit Einheimischen oder anderen Pilgern hinzugeben. Es geht heute noch eine lang gezogene Strecke bergab und Cornelia verspürt Schmerzen an ihrem linken Knie. Ich lenke sie ab, indem ich herumnörgele und nach einer Dusche quengele. Mein Plan geht auf und wir suchen in Santo Domingo de la Calzada nach einer geeigneten Waschmöglichkeit. Kein Problem, denn in einer Herberge erhalten wir die Gelegenheit, in den Genuss einer Körperwäsche zu kommen. Wir hinterlassen eine Spende und stolzieren frisch duftend zur Kathedrale. In dieser wohnen ein Hahn und eine Henne, die ihr Zuhause einer alten Legende zu verdanken haben.
Im 14. Jahrhundert geriet der Sohn einer Pilgerfamilie in die Hände einer rachsüchtigen, jungen Dame, die sich in den Burschen verliebte. Der Jüngling erwiderte ihre Gefühle jedoch nicht; woraufhin das Mädel ihm Silbergeschirr unterjubelte, um ihn des Diebstahls zu bezichtigen. Ihr grausamer Plan ging auf und der junge Mann wurde gehängt. Nach vollendeter Pilgerfahrt kehrten seine Eltern zu dem Baum zurück, an dem ihr Sohn hing und vernahmen die Stimme des vermeintlich toten Jünglings und sahen, dass der heilige Jakobus dem Jungen das Leben gerettet hatte. Daraufhin eilten sie zum zuständigen Richter und belichteten ihm von der wundersamen Geschichte. Der Jurist, welcher gerade Hühnchen verspeiste, lachte laut auf und entgegnete: „Euer Sohn ist so lebendig wie die beiden Vögel hier auf meinem Teller.“ Daraufhin flogen die Federviecher davon und die Unschuld des Knaben war bewiesen. Wenn heutzutage eines der Geflügeltiere kräht, solange man sich als Kirchenbesucher in dem Gebäude befindet, so wird einem Glück widerfahren und die Pilgerschaft erfolgreich verlaufen.
Tatsächlich krächzt eines der Federtiere gleich vier Mal während unseres 20-minütigen Aufenthalts in dem historischen Bauwerk. An Glück wird es uns also auch weiterhin nicht mangeln. Beruhigt schlendern wir zum Ortsausgang und stellen plötzlich erschrocken fest, dass wir in unserem Duschwahn nicht an unsere obligatorischen 750 Milliliter Waschwasser gedacht haben. Mist! Nun müssen wir einen Teil unseres Supermarktwassers opfern und morgen früh wahrscheinlich noch wie tollwütig mit Zahnpastaschaum vor dem Mund loswandern. Ha! Was für eine Überraschung! Am Ortsausgang befindet sich noch eine Wasserquelle. Toll, irgendwie fügt sich ja doch wieder alles!
Übermütig springe ich mit meiner Alu-Ultra-Leicht-Trinkflasche zum ersehnten Wasserspender und werde knallhart auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, als ich bemerke, dass das Ding kaputt ist und keinen Tropfen Wasser abzugeben bereit ist. Schade...
Doch das nächste Jakobswegwunder lässt nicht lange auf sich warten und ein altes Ehepaar spricht uns an und philosophiert über alternative Wasser-Bezugsmöglichkeiten. Sie laufen mit zügigen Schritten los und signalisieren uns, ihnen zu folgen.
Es ist schon wieder ziemlich spät und wir sind echt fertig. Das Tempo der Herrschaften ist für uns kaum mitzuhalten. Am Ende einer Brücke treffen wir auf eine Autowerkstatt, an deren Wasserhahn wir uns nun nach Herzenslust mit dem kühlen Nass eindecken können. Dann vollzieht sich etwas, das wir nicht zum ersten Mal erleben. Nur jetzt verläuft das Ganze noch einen Zahn schärfer und um einige Takte temperamentvoller.
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