Zwei Schwestern
So aber kann ich es nicht. Wenn du daher mit deinem Fährmanne nichts Bestimmtes verabredet hast, so steige wieder zu ihm hinunter, und schiebe den Gang zu Rikar auf morgen auf.«
»Ich habe eben so viel mit ihm verabredet,« antwortete ich, »daß es nichts macht, wenn ich heute nicht mehr zu dem See hinunter komme; ich hätte ihm nur gerne eine ganz genaue Nachricht übersendet.«
»Nun das kannst du halten, wie du es für gut findest,« sagte er.
Während dieses Gespräches hatte ich mir, um seinen Willen zu thun, noch ein Bischen Wein eingeschenkt, ihn getrunken, und ein Stükchen Brod dazu gebrochen. Nun aber drükte ich meinen Wunsch aus, aufzubrechen, um mein Ziel zu erreichen, und bat ihn mir den Weg, wie er versprochen habe, zu zeigen.
»Da mußt du mit mir auf die Gasse heraus gehen,« sagte er, »trinke noch einmal auf glükliche Wanderung, und schlage dann genau den Weg ein, welchen ich dir erklären werde. Grüße mir Rikar, und sage ihm, daß ich dir den Weg zu ihm gezeigt habe.«
Ich nahm meinen Hut von der Bank auf, er stieß mit mir auf glükliche Reise an, und wir gingen dann auf die Gasse hinaus.
»Du hast eigentlich,« sagte er, »den längsten und unbequemsten Weg eingeschlagen, der von dem See zu Rikar hinauf führt; aber da du einmal da bist, mußt du schon auf ihm fortgehen. Schreite von hier gar durch die Schlucht empor. Sie wäre oben geschlossen, daß man gar nicht hinaus könnte, aber ich habe der Aussicht wegen Stufen in die Steinwulst schlagen lassen, die quer über sie liegt, und diese Stufen steige hinan. Wenn du oben bist, schaue nach der Gegend, nach welcher die Sonne geht. In diese Gegend gehe du auch. Zur Sicherheit der Richtung wirst du einen Berg sehen, der so aussieht, als ob er auf seinem Gipfel rothe Steine hätte. Auf diesen Berg gehe zu. Wenn du ihn erreicht hast, lasse ihn zu deiner rechten Hand, und gehe fort. Du wirst dort auch einen getretenen Pfad finden. Wenn du den Berg hinter dir hast, gelangst du auf eine Haide, auf welcher sehr viele graue Steine liegen. Dort ist wieder kein Pfad. Gehe aber durch die Steine immer der untergehenden Sonne nach. In einer Weile wirst du einen Stein sehen, der viel größer ist, als alle andern; du wirst ihn auch daran erkennen, daß er schwarz ist, und auf seinem Gipfel eine verdorrte Fichte trägt. Er ist der einzige Stein in der Gegend, auf dem eine Fichte ist. Bei diesem Steine brich deinen Weg ab, und gehe gerade nach der Richtung deines rechten Armes in das Thal hinein, das du sehen wirst. Du wirst da auch bald einen guten Weg finden, auf dem gehe fort, er führt dich um eine Felseneke, und da wirst du grüne Bäume und weißes Mauerwerk sehen, da ist es, wo Franz Rikar wohnt. Während du aber auf der Bergebene fortgehst, mußt du auch noch eine andere Maßregel beobachten. Schaue öfters auf die Steinwulst zurük, durch die meine Schlucht geschlossen ist, du wirst sie sehr leicht erkennen; denn sie sieht wie ein gehobener Bühel aus. Diesen merke dir. Die Steine auf dem Hochlande sehen einer dem andern gleich, und wenn du daher die Anzeichen, die ich dir gegeben habe, nicht finden solltest, und wenn dir daher der Weg zu Rikar verschlossen wäre, so kehre wieder zu dem Bühel zurük, steige die Stufen herab, und bringe die Nacht bei mir zu. Morgen kann ich dir einen Wegweiser mit geben. So - jetzt lebe wohl, schreite rüstig deines Weges, und habe auf das Acht, was ich dir gesagt habe.«
»Lebt wohl,« erwiederte ich, »und habt Dank für die Erquikung, die ihr mir gereicht, und für die Erklärung, die ihr mir gegeben habt.«
Ich reichte ihm die Hand, er schlug ein, indem er die Worte sagte: »Mit Gott, mit Gott.«
Ich stieg die par Stufen, die von seinem Hause zu dem Pfade hinab führten, hinunter, und er schaute mir nach. Als ich dann eine kleine Streke in der Schlucht weiter hinaufgegangen war, und umschaute, stand er nicht mehr auf der Gasse, sie war leer, und die dunkelbraun angestrichene Thür war zu.
Ich dachte, während ich so fortging, ich hätte wohl um Näheres über Franz Rikar fragen können, ich hätte dem wohlwollenden alten Manne meinen Plan entdeken können, er würde mir gewiß mit den besten Mitteln an die Hand gegangen sein, wie ich ihn ausführen könnte. Allein anderseits war das Gefühl von Scheu, welches mich jedes Mal zurük hielt, wenn ich den Mund öffnen wollte, auch natürlich, und ich konnte ja zuerst bei Rikar selber sehen, wie die Sachen ständen, und konnte dann um so sicherer den Weg
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