Zwei Schwestern
mit dem, was wir biethen können, wir werden suchen, euch den Aufenthalt so angenehm zu machen, als es möglich ist, und wünschen, daß ihr denselben recht lange, lange hinaus dauern lassen möget. Jezt sagt nur, wie wünschet ihr den heutigen Tag zuzubringen, und was soll ich thun, daß er euch auf das Angenehmste verfließe?«
»Freund Rikar,« antwortete ich, »wenn ihr mir den Aufenthalt so angenehm machen wollt, als es mein Wunsch ist, so ändert in eurem ganzen Hauswesen gar nichts, als daß um eine Person mehr ist; nehmet an, diese Person sei schon lange hier, und gehe im Hause herum, wie es etwa ein weitläufiger Verwandter thun würde, der bei euch im Hause lebte. Je weniger ich euch gebunden fühle, je weniger ich selber gebunden bin, desto leichter und freier und angenehmer vermag ich mich zu bewegen. Was den heutigen Tag anbelangt, so bin ich durch meine Beschäftigung gewohnt, mich viel zu bewegen, ich würde daher jezt, wenn nichts dagegen ist, einen Spaziergang machen. Ohnehin ist eure Gattin noch in Morgenkleidern, vieles in dem Hause mag zu ordnen sein, und ihr dürftet vielleicht selber einige Geschäfte haben. Wenn ich von dem Spaziergange zurük komme, und ihr Zeit habt, so würde ich euch ein wenig um eure Gesellschaft bitten, ob ihr mir vielleicht manches in eurem Hause zeigen wollt, wie man es gerne mit Freunden thut, oder ob ihr auf eine andere Weise die Zeit hinbringen wollt.«
»Seid in unserm Hause ganz unabhängig, und thut, wie es euch gefällt,« sagte die Mutter, »in dem Gange des ersten Stokwerkes, Zahl sechs, ist eine Thür, welche zu meinen und Camillas Zimmern führt. Sie stehen täglich von zehn Uhr Morgens an offen; wollt ihr uns besuchen, so wird es uns sehr freuen. Im Uibrigen kommt und geht, wie es euch beliebt, und benehmt euch nach Wohlgefallen: nur bedenkt immer, daß ihr bei Freunden seid, die euch sehr wohlwollen.«
»Ich danke noch einmal auf das wärmste für die freundliche Aufnahme und Einladung,« sagte ich, »die größte Freude, die mir bisher in eurem Hause zu Theil wurde, Freund Rikar, ist die, daß ich euch so wohlbehalten in dem Schoße einer lieben Familie finde.«
»Das bin ich, das bin ich,« sagte er, indem er meine dargereichte Hand annahm, und sie schüttelte.
Hierauf beurlaubte er sich mit seiner Gattin, um mich nicht ferner zu beirren, und Maria, die schweigend da gestanden war, folgte ihnen.
Weil nun wirklich in meinen Zimmern noch nicht zusammen geräumt war, da ich den Schlüssel in der Tasche herum getragen hatte, und weil es meine Gewohnheit ist, mir in jedem neuen Aufenthaltsorte die Gegend zu beschauen, so beschloß ich, meinen Spaziergang zu machen.
Ich nahm den Hut, ging zur Thür hinaus, sperrte sie ab, und legte den Schlüssel in das Fach, welches mir Maria anempfohlen hatte. Ich ging über die Treppen, durch die Halle, und durch den großen Gartenweg hinaus. Dort wendete ich mich aber seitwärts, um nach der entgegengesezten Seite zu gelangen, als von der ich gestern gekommen war, und wo möglich eine Anhöhe zu gewinnen, um herum schauen zu können. Ich war sehr bald aus den grünen Anlagen, und befand mich jenseits des Besizthums. Hier war es wirklich wieder so, wie dort, wo ich mich gestern genähert hatte. Das Haus mit seinen Anlagen war der einzige bewohnte Flek auf der Hochebene. Ich ging nun über denselben fahlen Rasen, wie gestern, und über dasselbe harte Gestein, nur daß jezt ein tiefblauer Himmel und eine funkelnde Morgensonne darüber schwebten.
Der Thau war schon von den kurzen Gräsern gewichen, die Luft war noch nicht heiß, sondern erquikte, und ich ging daher gerne immer weiter und weiter. Bei meinem Bestreben, auf eine Anhöhe zu gelangen, wo freilich die Felsen immer mehrere wurden, unterstüzte mich der Rasen; denn wie dicht auch das Gestein starren mochte, so zog sich doch immer wenigstens ein dünner Streifen Grün hindurch, auf dem ich empor gehen, und in dessen Lokerheit ich meinen Fuß einsezen konnte. Meine Mühe belohnte sich nach und nach, und ich kam immer höher hinauf. Endlich war ich auf der Wölbung des Hügels, wie ich bezwekt hatte, angekommen. Ich wendete mich um, und sah auf das Ganze hinab. Welche Einsamkeit! Wie eine Insel lag das weiße übertünchte Haus mit dem Grün seiner Bäume und Gemüse in dem allgemeinen grau blau und violettlich duftenden Grunde, der eine Gestalt hatte, wie überall auf der Höhe des Gebirges. Die Schindeldächer des Hauses hoben sich nicht einmal von der
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