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Zwei Seiten

Zwei Seiten

Titel: Zwei Seiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Grey
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wie lange ich weinte, aber irgendwann löste ich mich von Mama. »Es gibt so vieles, das ich nicht verstehe. Und … und ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«
    Wir schnäuzten uns beide die Nase.
    Dann fragte meine Mutter: »Gibt es irgendwas, das ich tun kann, um dir zu helfen?«
    Ich nickte. Ich brauchte Antworten. Vielleicht konnte ich mich besser verstehen, wenn ich meine Mutter verstand. Mit verweinten Augen blickte ich sie an. »Wie hast du es geschafft, Papa zu heiraten und es all die Jahre auszuhalten? Und warum hast du es zugelassen, dass Papa so über Homosexuelle sprach? Er hat mich erzogen, Lesben und Schwule zu hassen. Wie konnte er damit leben, mich zu jemandem zu machen, die ihre eigene Mutter hassen würde, wenn sie die Wahrheit erführe?«
    Lange schaute sie schweigend zu Boden. Schließlich flüsterte sie kaum hörbar: »Ich weiß es nicht.« Tränen glitzerten in ihren Augen.
    Unruhig rutschte ich auf der Couch herum.
    Nach einer Weile berührte mich meine Mutter am Arm. »Ich habe noch nie über all diese Dinge nachgedacht.« Sie lachte kurz humorlos auf. »Ich habe in so vielen Dingen versagt, aber eine Sache konnte ich immer gut.« Mama sah mich an. »Verdrängen. Hätte ich das nicht gekonnt, ich wäre nicht mehr. Nach Marias Tod gab es Tage, an denen ich dachte, ich würde auch sterben. Niemand konnte so großen Schmerz empfinden und es überleben. Richtig?«
    Ich konnte mir nicht vorzustellen, was Mama empfunden haben musste.
    »Meine Mutter kam einen Tag nach Marias Beerdigung, zu der ich nicht gehen durfte, zu mir und sagte, sie hätte keine Ahnung warum, aber Heinz, dein Vater, hätte ihr gesagt, er wolle mich trotzdem noch. Ohne diese kranken Ideen würde ich sicher eine gute Ehefrau werden.«
    Ich schluckte. Das klang total nach meinem Vater. Vor meinem inneren Auge konnte ich geradezu sehen, wie er mit Oma sprach.
    »Einige Tage später kam Heinz vorbei und sagte mir, er würde mich lieben. Und diese normalen Gefühle könnten mich heilen. Ich müsste ihn nur heiraten und alles würde gut werden.«
    Das klang alles so surreal. »Hast du das geglaubt?«
    Meine Mutter strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich wusste nicht, was ich glauben, denken oder fühlen sollte. Es war, als ob es mich nicht mehr geben würde. Als ob ich an dem Tag mit Maria gestorben wäre. Ich war nicht mehr der Mensch, der ich vorher war. Aber ich hatte keine Ahnung, wer ich jetzt war. Warum also nicht das sein, was andere von mir wollten? Warum nicht versuchen, der Mensch zu werden, der ich ohnehin hätte sein sollen?«
    Ich blinzelte, ignorierte aber die Tränen, die meine Wangen runterliefen.
    Meine Mutter seufzte. »Ein einziges Mal erlaubte ich mir, an Maria zu denken.« Sie lächelte. Es wirkte so unwirklich mit all den Tränen in ihrem Gesicht. »In unserer letzten gemeinsamen Nacht hielten wir einander in den Armen und stellten uns vor, das Kind in Marias Bauch wäre unseres. Das Kind unserer Liebe.« Mama streichelte meine Haare. »Wir beschlossen, das Kind Scarlett zu nennen, wenn es ein Mädchen wird.«
    Ich schnappte nach Luft. »Du hast mich … mich nach dem Kind benannt, das ihr haben wolltet?« Der Raum schien sich zu drehen.
    Meine Mutter nickte. »Bei deiner Geburt war ich so glücklich. Du warst ein Geschenk Gottes. Meine …« Mama schloss die Augen und flüsterte: »Unsere Scarlett.«
    Ich fiel meiner Mutter um den Hals. Nach einer Weile löste ich mich etwas. »Warum hast du es dann zugelassen, dass er so über Lesben und Schwule redete?«
    Mama schaute auf ihre Hände. »Ich wollte es allen recht machen. Dazu gehörte, zu akzeptieren, jetzt ein anderer Mensch zu sein. Jemand, der sich für das, was alle richtig nannten, entschieden hatte. Natürlich mochte ich es nicht, wenn dein Vater derart hasserfüllt sprach. Ich habe ihn nie so geliebt wie er mich. Das wusste er. Vielleicht, nur vielleicht hasste er mich dafür. Ich weiß es nicht. Aber ich fühlte mich schuldig.« Meine Mutter bedeckte für einen Moment ihre Augen mit einer zittrigen Hand. »Für so vieles. Wenn es deinem Vater half, so zu reden, wollte ich ihm das nicht nehmen.« Mama berührte sanft mein Knie. »Es war falsch. Ich hätte das nie zulassen dürfen. Und … und es tut mir leid.«
    In meinem Kopf herrschte vollkommenes Durcheinander. Es traf mich wie ein Blitz. »Du bist frei.«
    Mamas Augenbrauen zogen sich zusammen. »Wovon redest du?«
    »Papa ist tot«, sagte ich und wiederholte: »Du bist frei.« Ich

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