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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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geht?« »Wie könnte ich das?«, entgegnete Usir schlicht.
    Sie verzog die Lippen. Er hatte den Eindruck, dass sie lächelte. »Die Königin befragt den schwarzen Stein und dieser wird ihr Antwort geben.«
    Usir runzelte die Brauen. »Welchen schwarzen Stein?« »Den Stein, der einst vom Himmel fiel. Er lenkt die Geschicke unseres Volkes.«
    Â»Ein Stein kann nicht sprechen«, erwiderte Usir. »Doch, der schwarze Stein spricht«, versicherte Isa ruhig. »Man muss ihn in Vollmondnächten befragen, wenn das Licht senkrecht über dem Heiligtum steht. Aber einzig meiner Mutter, der Königin, ist es vergönnt, Zwiesprache mit den Himmelsmächten zu halten.«
    Usir spürte, wie er erschauerte. Es war, als ob die unsichtbaren Geister der Nacht ihn mit ihren Schwingen streiften. Er versuchte seine Beklommenheit abzuschütteln. »Wir Atlantiden beten Poseidon an, den Stiergott, der dem Meer entstieg.«
    Isa lächelte geringschätzig. »Die Amazonen beten keinen Gott an. Der schwarze Stein leitet und beschützt sie. Wir verehren ihn, aber wir beten ihn nicht an, denn er ist ein Teil unser selbst.«
    Â»Was willst du damit sagen?«, fragte Usir.
    Sie schien bereit ihm eine Antwort zu geben. Doch mit einem Mal wurde ihr Gesicht abweisend. Mit heftiger Gebärde warf sie ihm den Rest des Brotfladens vor die Füße. »Du stellst zu viele Fragen!«, zischte sie. »Geh und lass mich allein!«
    Usir spürte, dass es keinen Sinn hatte, sie jetzt weiter zu befragen. Ohne ein Wort hinzuzufügen wandte er sich um und entfernte sich. Der Wächter schloss hinter ihm die Tür. Usir hörte das Quietschen der Scharniere, als der Riegel davor geschoben wurde. Die knisternde Fackel vor sich hertragend stieg er die Leiter hinauf und gelangte an Deck. Tief atmete er die salzige Meeresluft ein, in der sich der Geruch von Harz mit dem des Holzrauchs vermischte. Usir hob seinen Blick zum Mond empor, der in einem sonderbar flimmernden, rötlichen Lichtkreis funkelte. Ein tiefer Atemzug dehnte seine Brust. Wieder überkam ihn dieses seltsame Gefühl des Unbehagens. Die Gefahr, die er vorausspürte, war umso bedrohlicher, als er sie nur auf einzelne Worte oder auf Sinnestäuschungen zurückführen konnte. Doch er wehrte sich dagegen und bald gewann sein klarer Verstand wieder die Oberhand. Mit festen Schritten verließ er das Schiff und versuchte Isas geheimnisvolle Andeutungen aus seinem Gedächtnis zu verdrängen.

6
    Vor dem ersten Tor, das zum Heiligtum führte, stand Zena und hielt ihren Blick auf den Mond gerichtet. Sobald der Schaft der Lanze, die zu ihren Füßen im Sand steckte, mit seinem Schatten zusammenfiel, würde sie die verbotene Schwelle überschreiten. Die schwarzen, auf der Treppe stehenden Wächterinnen bildeten einen reglosen und dicht gedrängten Kreis um die Königin. Der Glanz ihrer Waffen schillerte bläulich. Am Fuß der Stufen füllte eine aufmerksame und zugleich bedrückte Menge den Platz vor dem Palast. Manchmal stieg ein Flüstern, ein Seufzen aus dem sonst schweigenden Volk empor und in den Ställen hörte man die Pferde schnauben.
    Zena hatte ihren Panzer abgelegt. Ohne Waffen und barfuß stand sie da. Ein langes, weites Purpurgewand, an dem rubinfarbene Reflexe aufglänzten, hüllte sie von Kopf bis Fuß ein und ließ sie noch hochgewachsener erscheinen. Sie trug keinen Schmuck. Nur am Zeigefinger ihrer rechten Hand leuchtete ein riesiger Ring aus schwarzem Metall.
    Langsam und stetig näherte sich der Schatten, der die Achse zwischen Mond und Lanze herstellte. Je weiter die Zeit fortschritt, umso mehr nahm die Spannung zu. Zenas Antlitz war sehr blass und wirkte wie eine Maske, die ab und zu von einem flüchtigen Wimpernschlag belebt wurde. Als endlich der Schatten und die Lanze eine einzige dunkle Linie bildeten, stieg aus der Menge ein tiefer Seufzer auf.
    Zena streckte die Hand aus. Eine Wächterin trat näher und reichte ihr eine Fackel. Zena trug sie vor sich her und schritt langsam vorwärts. Ihr langes Gewand schleifte wie ein prächtiges Gefieder über den Sand. Mit dumpfem Hall fiel der Flügel des ersten Tores hinter ihr zu: Die Königin hatte das Heiligtum betreten. Allein in der schweigenden Kälte durchschritt Zena die drei hintereinander liegenden Portale des heiligen Bezirks. Dieser bestand aus einem kreisrunden, mit weißem Sand

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