Zwei Sonnen am Himmel
Kehle tastete, bemerkte Usir einen Pfeil, dessen Schaft zwischen den Fingern des Alten herausragte. Scharlachrotes Blut breitete sich über sein Gewand aus. Egan sank vornüber und rollte leblos über die Stufen.
18
Usir und Isa standen wie versteinert: Sie konnten nicht glauben, was sie sahen. Im Qualm der Fackeln huschten Schatten über die Felsen, wurden im Spiel des Lichts von einer Wand zur anderen geworfen. Dann tauchten drei, nein, vier Gestalten auf. Mit leisen Schritten kamen sie aus dem Halbdunkel. Es waren Frauen. Der nasse Stoff ihrer Gewänder klebte an ihrer Haut. Ihre Gesichter wirkten unter einer Kruste aus Schweià und Staub starr wie eine Bronzemaske. Die hoch gewachsene Frau, die voranging, trug ein purpurnes Gewand. Sie hielt einen Bogen in der Hand. Ein Köcher voller Pfeile hing über ihrer Schulter. Ihr durch die Feuchtigkeit dunkel wirkendes Haar glänzte wie das Fell eines Fischotters.
»Mutter â¦Â«, stammelte Isa. »Meine Königin...«
Sie lief auf sie zu, warf sich vor ihr auf die Knie und beugte das Haupt. Ein Lächeln glitt über Zenas geschwollene Lippen.
»So sind wir doch noch rechtzeitig gekommen«, sagte sie mit ihrer tiefen, klangvollen Stimme. Isa blickte ungläubig zu ihr auf. »Wie habt ihr nur hierher gefunden?«
»Wir überwältigten einen Wächter«, sagte Zena und ihr Blick verdüsterte sich. »Bevor er starb, konnten wir ihn zum Sprechen bringen. Aber wir haben viel Zeit verloren, um über die Lagune zu gelangen und einen Weg durch die unterirdischen Gänge zu finden.«
Sie deutete Isa an, sich zu erheben. Dann trat sie mit raschen Schritten auf den Alten zu und blieb vor dem Leichnam stehen. Sie bückte sich und zog den Pfeil mit geschicktem Griff aus der Wunde. Ihr Blick schweifte wieder zu Isa zurück. »Du bist ohne Waffe?«, fragte sie und reichte dem Mädchen ihren eigenen Dolch.
Usir, der stumm daneben stand, nahm plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung des Priester-Königs wahr. Blitzschnell zog er nun seinen Dolch aus der Scheide und setzte ihn dem Mann an die Kehle.
Atlar verzog schmerzvoll den Mund. Sein Gesicht glänzte vor Feuchtigkeit. »Nun denn, König von Atlantis«, höhnte er, »die Gelegenheit ist günstig, um Rache zu nehmen.«
Usir betrachtete ihn kalt. Instinktiv spürte er, dass Atlar seine gefährliche Macht über ihn von dem Augenblick an verloren hatte, als er selbst aufgehört hatte sie zu fürchten. »Es gibt für alles ein Maë, sagte er ruhig. »Du hast deine Grenzen erreicht.«
Zena schritt über den Leichnam des Alten hinweg und trat auf den Priester-König zu. »Bist du der Herrscher über dieses Land?«
»Von jetzt an nicht mehr«, antwortete Usir. Er warf seinen Mantel von der Schulter zurück und erwiderte fest und voll Zenas Blick. »Ich bin es, der den heiligen Ring der Macht trägt.«
Zenas Blick senkte sich auf das Schmuckstück. Das kalte, grüne Feuer des Edelsteins funkelte zwischen den ineinander gewundenen Schlangenkörpern. Die Königin sah, dass Atlar den gleichen Ring trug, den er jetzt unter den Falten seines Mantels zu verbergen suchte. Einige Atemzüge lang schwieg sie; die Schatten spielten auf ihrem regungslosen Gesicht, aber Usir hatte das Gefühl, dass ihre scharfen Augen in ihm lesen konnten wie in einem offenen Buch. SchlieÃlich sagte sie: »Wenn er dich um dein Erbe betrogen hat, so soll er es mit dem Tod vergelten.«
»Der Tod kann mir nichts anhaben«, erwiderte Atlar. Er hatte seine Fassung wiedergefunden und lächelte grausam.
Zena betrachtete ihn voller Verachtung. »Während du dich in Stunden der Gefahr in unterirdischen Gängen verbirgst, flieht dein Volk in Angst und Schrecken. Die Menschen stürmen auf die Schiffe, um übers Meer zu gelangen. Viele liegen schon im Sterben, die Kehle verbrannt durch den vom Himmel fallenden Staub. Sie wimmern, fluchen oder schreien nach den Göttern. Andere morden und plündern. Wieder andere berauschen sich, singen und tanzen wie die Irren und geben sich Ausschweifungen hin. Ist das die GröÃe von Atlantis?«
Ein Zittern befiel Atlars Lippen. Er hauchte: »Die GröÃe von Atlantis liegt in seiner Vergangenheit.« »Du bist ein Narr«, sagte Zena. Sie wies mit dem Bogen auf die Männer in ihren unsichtbaren Käfigen.
Der Tumult hatte sich gelegt, aber
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