Zwei Sonnen am Himmel
sofort Alarm! Ruft die Anführerinnen des Heeres zusammen!«
Unter den Palastwächterinnen entstand lebhafte Bewegung. Zwei Frauen liefen die Treppe hinunter. Das klangvolle Dröhnen der Muschelhörner zerriss die Stille. Schritte und Stimmen wurden laut. Eine Gruppe hoch gewachsener Frauen trat in den Saal. Sie trugen Harnische aus Haifischhaut und Lederhelme, mit Stahlplatten belegt, die noch durch zusammengerollte Tierhäute verstärkt wurden. Alle waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet. AuÃerdem verfügten sie über Speere, Schwerter und Dolche. Einige waren mit Keulen ausgerüstet, die mit Zähnen von Sägefischen versehen waren und als besonders furchterregende Waffen galten. Der kühle, starre Gesichtsausdruck der Frauen bildete einen merkwürdigen Kontrast zu dem Ungestüm, der in ihren Augen brannte.
Zwischen den Säulen stand ein Thron, aus einem riesigen Ammonshorn gebildet, das von den Jahrtausenden mit Patina überzogen war. Ozelotfelle und weiche Kissen bedeckten den Stein, auf dem Zena jetzt Platz nahm. Sie gab der Küstenwächterin ein Zeichen. Die Frau berichtete mit knappen Worten, was sie gesehen hatte. Die Kriegerinnen standen unbeweglich und stumm, doch ihr geballtes Schweigen erfüllte den Raum wie eine greifbare Drohung.
»Amazonen«, sagte Zena, als die Wächterin zurücktrat. »Die Atlantiden bedrohen unsere Insel. Sie sind gekommen, um Sklaven zu erbeuten und ihre Habgier an unseren Bodenschätzen zu stillen. Doch wir werden sie ins Meer zurückdrängen!«
Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Die Frauen wiegten ihre Speere; ihre gelenkigen Finger krampften sich um den Griff der Waffen. Zenas ruhiger Blick schweifte über die Kriegerinnen. Sie wusste, der Kampf würde erbarmungslos sein â¦
In diesem Augenblick beugte Isa vor ihr das Knie. Ihr langes, blondes Haar bedeckte die Steinfliesen vor ihren FüÃen. »Meine Königin!«, stieà sie hervor. »Lasst mich an der Spitze meiner Leibwache den ersten Angriff führen!« Ihr Gesicht glühte; ihre weit geöffneten, grünen Augen blitzten im Halbdunkel.
Zena unterdrückte ein Lächeln. Sie kannte die Kühnheit ihrer Tochter, die sie selbst zum Kampf erzogen und dafür gehärtet hatte. »Geh, meine Tochter«, sagte sie. »Das Heer wird dir gehorchen.«
Isa biss sich auf die Lippen, um einen Ausruf des Triumphes zu unterdrücken. Mit lebhafter Gebärde beugte sie sich vor, berührte mit ihrer geballten Faust die Faust der Königin. Dann schnellte sie hoch. Sie gab den Frauen ein Zeichen, ihr zu folgen, und stürzte aus dem Palast, dem blendenden Sonnenlicht entgegen.
Am Fuà der Treppe, wo die Menge sich drängte, stampfte der weiÃe Hengst und blähte aufgeregt die Nüstern. Er war das einzige weiÃe Pferd unter all den schwarzen Reittieren der Palastwache. Ein raues Schnauben drang aus seiner Kehle; die Muskeln spielten unter dem schweiÃnassen Fell. Eine junge Schwarze, deren sehnige Arme mit Kupferreifen bedeckt waren, hielt den ledernen Riemen, der an einem schmalen Eisenstück im Maul des Tieres befestigt war. Eine andere Schwarze war dabei, den Schweif des Hengstes hochzubinden, um dem Pferd völlige Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Ein Mantel aus Reiherfedern wurde gebracht und Isa um die Schultern gelegt. Sie setzte ihren Kriegshelm auf, der mit Elfenbeinplatten an Kopf- und Wangenpartien belegt war. Dann ergriff sie die Zügel; ein leichtfüÃiger Sprung brachte sie auf den Rücken ihres Streitrosses, während sich die schwarzen Kriegerinnen - die Elite des Heeres - zu einer dichten Phalanx um sie schlossen. Die Erde dröhnte unter den Hufen der Pferde, als sie in weiten Sprüngen an der Menge vorbeijagten. Isas Mantel flatterte im Wind wie weià schwingendes Gefieder. Der tiefe Klang der Muschelhörner hallte über die Dächer und wie ein Echo drang ein übermütiges, wildes Kreischen aus den Kehlen der vorwärts stürmenden Kriegerinnen.
3
Die Insel flimmerte in der Glut des mittäglichen Lichts. Der dunstige Himmel drückte auf das Meer, dessen Geruch nach Algen, Tang und Salz sich mit dem betörenden Duft der Blüten, der der Insel entströmte, vermischte. Die Brandung rauschte. Wie ein schwarzer Damm hob sich die reglose Linie der Pferde von dem Weià des Sandes ab. Dicht nebeneinander aufgestellt schienen Reittiere und Reiterinnen eine metallisch
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