Zwei Worte bis zu Dir - Die Wildrosen-Insel 1: Ein Serienroman (German Edition)
wirklich allein mit ihm war, fiel ihr auf, wie außerordentlich gut er gebaut war. Seine Schultern waren breiter, als sie in Erinnerung hatte, und unter dem offenen Kragen seines schilfgrünen Kurzarmhemdes konnte sie sehen, dass seine Brust rasiert war. Das blonde Haar war leicht zerzaust und sah aus, als hätte er es nach dem Schwimmen an der Luft trocknen lassen. Im Grunde stand das Klischee eines Beachboys vor ihr, das ihr unter anderen Umständen nicht mehr als ein müdes Lächeln abverlangt hätte. In diesem Moment jedoch erkannte sie die Genialität ihrer Suche nach Ablenkung in vollem Umfang.
»Es tut mir übrigens leid, dass ich bisher so abwesend war«, fügte sie hinzu.
»Kein Problem.« Er zwinkerte ihr zu. »Noch habe ich die Hoffnung auf einen redseligeren Spaziergang nicht aufgegeben.«
»Ich meine nicht diesen Spaziergang.« Sie beugte sich nach unten, streifte ihre Ballerinas von den Füßen und nahm sie in die Hand, um den Weg barfuß fortzusetzen. »Ich meine alles.«
Er hob seine Schuhe auf und ging neben ihr den Strand entlang, während die Zungen belebender Wellen in sanften Stößen ihre nackten Füße umspülten. »Ach du meinst meine selbsterniedrigenden, mittlerweile vier Monate andauernden Versuche, dich endlich zu einem Date zu überreden?«
Sie lachte. »Genau die. Aber weißt du, manchmal ist man einfach nicht bereit. Nicht mal für etwas Oberflächliches.«
»Auch wenn meine Hartnäckigkeit vielleicht einen anderen Eindruck erweckt hat, ich will dich weder heiraten noch bei dir einziehen, Vanessa. Einfach nur ein harmloses Date.« Er schaute auf das Wasser. »Oder eben einen Spaziergang am Meer.«
»Darf ich dich was fragen?«, begann sie.
»Alles.«
»Warum Tischler?«
»Warum Tagesmutter?«
Sie blieb stehen. »Ich hab zuerst gefragt.«
Er lächelte. »Also gut. Mein Großvater war Tischler, mein Vater war Tischler und nach zwei Generationen Familienbetrieb stellt man es nicht mehr in Frage, ob man selbst auch Tischler werden möchte. Manche Dinge sind eben so unumgänglich wie die Vererbung der Haarfarbe.«
»Haare kann man färben«, antwortete sie mit aufforderndem Grinsen.
»Heißt das, du magst meine Haare nicht?«, fragte er mit gespieltem Entsetzen.
»Das war mehr eine Metapher.«
»Verstehe.« Er senkte seinen Kopf zur Seite und befeuchtete die Lippen, was sie sofort in einen Zustand unangenehmer Nervosität versetzte. Er kam nicht näher, vielmehr schien er darauf zu warten, dass sie den ersten Schritt machte.
Vanessas Herz begann zu rasen. Panik überkam sie.
Was genau ließ ihn denken, dass sie zu mehr als einem unverbindlichen Spaziergang bereit war?
Okay, vielleicht war sie bereit. Bereit für irgendetwas . Zumindest war der Wunsch nach Ablenkung der Grund für ihren Anruf gewesen, aber war das ein Grund, seine Lippen zu befeuchten und einen Blick aufzusetzen, als hätte sie ihn gerade darum gebeten, ihr die Kleider vom Leib zu reißen?
Er schien ihr Unbehagen zu spüren; unweigerlich verschwand sein erwartungsvoller Blick, und er setzte wieder ein unbeschwertes Lächeln auf. Er schaute auf seine Armbanduhr.
»Es ist kurz nach sieben«, sagte er. »Hast du Hunger?«
»Hunger?«
»Wir könnten zu Laszlo gehen. Ich lad dich ein.«
Vanessa dachte einen Moment über seinen Vorschlag nach. »Um ehrlich zu sein, ich bin nicht so der Fisch-Fan.«
»Wie kann man als Insulanerin kein Fisch-Fan sein?«, fragte er lachend.
»Überrascht?«
»Laszlo bietet in seinem Restaurant nicht nur Fischgerichte an.«
»Ich weiß, aber ich würde viel lieber …« Sie verstummte.
»Weiter spazieren gehen?«
Sie nickte lautlos, während sie darüber nachdachte, ob es tatsächlich der Wahrheit entsprach. Sie hatte keinen Hunger, das stimmte. Gleichzeitig war sie sich aber völlig unklar darüber, was genau sie eigentlich wollte. Ablenkung? Ja. Immerhin war sie deswegen hier. Aber war es überhaupt möglich, sich abzulenken? Warum gelang es ihr dann nicht, die Begegnung mit Lenny endlich aus dem Kopf zu bekommen?
Gregor stand noch immer vor ihr wie eine Offenbarung. Er schien zu spüren, dass sie nicht so recht wusste, was sie wollte. Gleichzeitig war nicht zu übersehen, dass ihn dieser Zustand überforderte.
»Kann ich dich was fragen, Gregor?«, fragte sie schließlich.
»Natürlich.«
Sie suchte nach Worten. »Warum wolltest du dich unbedingt mit mir treffen?«
»Na ja. Ich mag dich eben.« Er nahm ihre Hand. »Du bist nicht nur klug und attraktiv, du machst
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