Zwei Worte bis zu Dir - Die Wildrosen-Insel 1: Ein Serienroman (German Edition)
keine Ruhe ließ: Es war die Vorstellung, sich endlich wieder vollkommen fallen und nur von seinen körperlichen Bedürfnissen lenken zu lassen. Wie sehr vermisste sie das Gefühl, auf dem Höhepunkt der eigenen Leidenschaft den Rest der Welt – und damit auch all ihre Traurigkeit – hinter sich zu lassen. Warum sie in diesem Moment an Gregor dachte, war ihr nicht sofort klar. Aber manchmal – zumindest das wusste sie – war es gar nicht nötig, die eigenen Gedanken zu verstehen. Oberste Priorität hatte das Vorhaben, Lenny zu vergessen, bevor er sich erneut in ihrem Herz einnistete. Und dafür war ihr jedes Mittel recht.
Kapitel 4
D u glaubst gar nicht, wie sehr ich mich über deinen Anruf gefreut habe. So musste ich mir ausnahmsweise mal keine Ausrede überlegen, um der samstäglichen Kneipentour mit meinem Kumpel zu entgehen.«
Sie erwiderte Gregors mittlerweile dritten Kommentar, der seine Freude über ihren Anruf ausdrücken sollte, mit einem stummen Nicken. Er war in ihrer Gegenwart ziemlich nervös, das war offensichtlich.
»Ist alles in Ordnung?«, hakte er nach, während er in gekünstelter Gleichgültigkeit einen Stein über dem Wasser balancieren ließ.
»Ja«, antwortete sie leicht abwesend. »Ja, natürlich.«
Sie blieb neben ihm stehen und ließ ihren Blick über das Meer wandern. Der Strandabschnitt war an diesem Abend menschenleer. Nicht zuletzt deshalb hatte sie sich dafür entschieden, seine Einladung zu einem Spaziergang endlich anzunehmen.
»Du wirkst irgendwie abwesend«, stellte er mit prüfendem Blick fest.
»Tut mir leid«, antwortete sie. »Es war ein langer Tag. Ich bin mit den Gedanken wohl woanders.«
Woanders, ja. Vor allem bei jemand anderem. Die Nachricht, die sie am Morgen auf ihrem Handy gefunden hatte, spukte noch immer in ihrem Kopf herum.
Liebe Ness. Es tut mir leid, dass ich dich gestern überfallen habe. Ich wollte deine Gefühle nicht aufwühlen oder dich verletzen. Ich will einfach nur mit dir reden. Bitte denk noch mal darüber nach. Alles Liebe, Lenny
Alles Liebe. Von wegen. Was bildete er sich eigentlich ein, ihre Gefühle derart auf die Probe zu stellen? Für wie labil hielt er sie?
Gregor hatte inzwischen seine Schuhe ausgezogen und trug sie in der rechten Hand, während er barfuß durch den Sand spazierte. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie er sie von der Seite musterte. Nicht stalkermäßig, sondern eher mit distanziertem Interesse, darum bemüht, eine möglichst angenehme Gesellschaft für sie darzustellen. Trotzdem überforderte sie seine Anwesenheit stärker, als sie vermutet hatte. Anfangs war ihr die Idee einer Ablenkung noch brillant erschienen, aber in diesem Moment störte jeder, der sie daran hinderte, in selbstquälerische Gedanken an Lenny zu versinken.
»Ich hoffe, du bist meiner Einladung nicht nachgekommen, um es endlich hinter dir zu haben.« Er bückte sich nach einer Muschel. »Wir sind jetzt nämlich seit einer halben Stunde unterwegs, und ich finde, dafür dass deine Stimme sehr viel schöner klingt als meine, habe ich mich selbst in dieser halben Stunde eindeutig zu oft reden gehört.«
Vanessa blieb stehen. Ihr gedankenverlorener Blick wich einem Lächeln. War er die ganze Zeit über so charmant und originell gewesen, und es fiel ihr erst in diesem Moment auf? Oder brachte ihn ihre kalte Schulter dazu, dass er langsam die Geduld verlor und in die Vollen ging?
»Fragt sich nur, ob du zu viel redest oder ich zu wenig«, antwortete sie augenzwinkernd.
Gregor ließ seine Schuhe neben sich in den Sand fallen und griff nach ihrer linken Hand. Er schaute ihr für den Bruchteil einer Sekunde tief in die Augen, dann senkte er den Blick auf ihre Handfläche und strich mit dem Zeigefinger die Linien auf ihrer Haut nach. »Deine Liebeslinie sagt eindeutig, dass dir schwerwiegende Veränderungen bevorstehen.«
»So so, das sagt sie also.« Vanessa löste sich langsam aus seiner Berührung. »Dann kann ich nur hoffen, dass ich das passende Kleid für die schwerwiegenden Veränderungen im Schrank hängen habe.«
»T-Shirt und Jeans genügen völlig«, antwortete er.
Der Umstand, dass er ihrem Blick nicht auswich und seine Nervosität plötzlich verschwunden schien, weckte ungewohntes Interesse in ihr. Zumindest wollte sie einen erneuten Versuch wagen, in seiner Gegenwart für ein paar Stunden Lennys Rückkehr zu vergessen.
»Gut zu wissen«, erwiderte sie lächelnd.
Jetzt, da sie zum ersten Mal, noch dazu außerhalb ihres Hauses,
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