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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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mitgenommen hatte. Sogar durch den Stoff seines Fleece-Shirts konnte er ihre Hände spüren.
    »Leon?«, sagte sie nach einer Weile.
    »Ja.«
    »Ich wollte es nur aussprechen.« An ihrer Stimme konnte er hören, dass sie lächelte. Und trotzdem konnte er sein altes Selbst, den zweifelnden Jay, der zu viel nachdachte, noch nicht ganz zurücklassen.
    »Sagst du mir wenigstens jetzt, ob du Beren liebst?«
    »Natürlich nicht. Jedenfalls nicht so, wie du meinst. Ich kenne ihn von Geburt an.«
    »Wer ist es dann? Ich will es nur wissen – damit ich ihm aus dem Weg gehen kann. Denn ich habe keine Ahnung, ob ich es ertrage, dich mit ihm zu sehen. Für mich …« Und jetzt begann sein Herz doch zu rasen, und es kostete ihn allen Mut, weiterzusprechen »… ist ein Name eine Liebeserklärung.«
    »Du … wirst ihm nicht begegnen«, sagte sie leise.
    Ist er tot? Er sprach es nicht aus, und sie antwortete nicht auf die Frage, die im Raum schwang. Plötzlich verstand er ihre Angst, ihre Verschlossenheit, ihren Hass und ihre Furcht vor Wendigo. Das Bild von Faye blitzte auf, die sich bedauernd über ihr kurzes Haar strich. Nur ein Ritual , das hatte sie ihm auf seine Frage geantwortet. Jetzt kam er sich vor wie ein Tölpel. Herzlich willkommen im Klub der Blinden . Du warst so mit dir selbst beschäftigt, dass du es nicht gemerkt hast. Auch Ivy trauert um jemanden! Deshalb hat sie ihr Haar so kurz geschnitten. Und irgendwo, ganz tief in einer verbotenen Kammer, regte sich ein Gedanke, für den er sich zwar schämte, der ihn aber trotzdem mit unendlicher Erleichterung erfüllte. Dann wartet niemand mehr auf sie im Winterlager. Und sie wird nicht ewig traurig sein.
    »Erzähl mir etwas«, bat sie leise. »Vielleicht das Märchen von Romeo und Julia.«
    Es ist kein Märchen, Märchen gehen nicht tragisch aus , wollte er antworten. Aber dann hätte er beinahe gelacht. Warum nicht? Also erzählte er die Geschichte der beiden Liebenden. Wie sie sich auf einem Ball verliebten, sich heimlich trafen und versuchten, der Rachsucht ihrer Familien zu entkommen. Wie sie getrennt wurden und wie Romeo die Nachricht von Julias Tod bekam. Aber am Ende vergiftete sich Romeo nicht an Julias Sarg, weil er sie für tot hielt, und Julia stieß sich nicht das Messer in die Brust, als sie zu spät aus ihrem todesähnlichen Schlaf erwachte. In Jays Version entführte Romeo seine Julia aus der Gruft und sie erwachte in seinen Armen – weit weg von Verona und ihren Familienclans. »Sie zogen von Land zu Land«, schloss Jay. »Niemandem sagten sie, wer sie einst gewesen waren. Sie lebten glücklich – und nur wenn sie allein waren, nannten sie sich bei ihren richtigen Namen.«
    Ivy lachte leise. »Ein gutes Ende«, sagte sie anerkennend.
    Und vielleicht geht es ja gerade darum , dachte er. Neue Enden für alte Geschichten zu finden.
    Ihre Finger spielten mit seinem Haar und er konnte immer noch die Wimpernschläge an seiner Wange fühlen. Ihre Lippen streiften seinen Mundwinkel, so zart, als würde sie von einem Kuss kosten wollen, den sie noch nicht ganz wagte. Die zärtliche Berührung überraschte ihn, aber er rührte sich nicht, lächelte nicht einmal, als könnte schon diese Bewegung sie vertreiben.
    »Ich träume oft von ihm«, sagte Ivy mit zitternder Stimme. »Aber vielleicht muss auch ich langsam wieder aufwachen.«
    Eine Weile spürte er nur ihren Atem, doch dann legten sich kühle Lippen auf seine, sogen sich mit einer Leidenschaft an ihnen fest, die ihn völlig mitriss. Er konnte nicht anders, als nachzugeben. Ihre Finger wühlten sich in sein Haar und im nächsten Moment lag sie auf ihm und ihre Hände schoben sich unter sein Shirt, liebkosten seinen Bauch, seine Brust. Er wollte nichts so sehr, wie ihre Umarmung zu erwidern, aber trotzdem verwirrte Ivy ihn mehr denn je. Denkt sie an den anderen? Er fasste nach ihren Handgelenken und sie hielt inne.
    »Was ist?«
    »Wir haben Zeit, Ivy«, sagte er atemlos, obwohl er sich so sehr nach ihr sehnte, dass seine ganze Haut ein einziges warmes Glühen war.
    »Wirklich?«, antwortete sie mit einem leisen, lächelnden Spott. »Und was, wenn wir uns jetzt das letzte Mal küssen?« Aber es klang nicht verzweifelt, und ihm dämmerte, dass dieses Mädchen aus seiner neuen Zeit sehr viel mehr über Sonne und Schatten wusste, als er je begreifen würde. Sie denkt nicht an den anderen. Sie denkt nur an mich. Hier und jetzt.
    »Deine Hände sind auch kalt«, raunte sie ihm ins Ohr. Sein Herz begann zu

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