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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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rasen, als sie seine Hand unter ihren Pullover schob. Glatte, warme Haut unter seinen Fingern, ein Rippenbogen und dann die weiche Wölbung ihrer Brust.
    Er glaubte, inzwischen so ziemlich alles über Unglück zu wissen, aber jetzt lernte er so einiges über Glück: dass es einfach da sein konnte, auch wenn alle Wahrscheinlichkeiten und die Vernunft dagegen sprachen. Dass es Finsternis in Goldlicht verwandelte. Und dass sogar dann, wenn der Tod seine Finger nach ihnen ausstreckte, nichts so wichtig war wie dieser Augenblick.
    *
    »Los, such sie«, sagte Night. »Ein wenig Zeit haben wir noch.«
    Mo nickte und betrachtete den Himmel. Um den Sichelmond, der ihr immer noch genug Kraft lieh, ballten sich die Reste des Schneesturms, verwehendes Weiß, das sich nach und nach ganz auflöste. Noch immer sah sie das blonde Mädchen vor sich, die Mordlust in seinen Augen und die Klinge aus Eisen, die auf ihr Herz gezielt hatte. Und Mo war ihr fast dankbar dafür, dass sie nun keine Zweifel mehr haben musste. Es war eine interessante Erfahrung, dass man einen Menschen so sehr hassen konnte, ohne ihn zu kennen – und einen anderen um jeden Preis beschützen und retten wollte. Umso besser, wenn sich beides verbinden lässt, dachte sie grimmig . Sie legte die Hand auf die Stelle, wo ihr wildes, ungehorsames Herz schlug, das auch jetzt wieder seine eigene Stimme hatte. Cinna würde es verstehen .
    Nights Augen verengten sich misstrauisch, als hätte sie die Schwingung ihrer Gedanken gespürt, den feinen Missklang. »Was ist?«, schnappte sie. »Worüber grübelst du nach?«
    »Es ist komisch«, murmelte Mo. »Ich habe ihn geliebt und vielleicht auch gehasst, aber vorhin wollte ich nur, dass er mir gehört, damit … ich ihn verstecken kann.«
    »Was?«, rief Night. Angst ließ ihre Stimme gellen. »Du willst Wendigo betrügen? Hast du mir nicht zugehört?«
    »Oh doch«, erwiderte Mo ruhig. »Wendigo wird bekommen, was er von mir verlangt. Aber es wird nicht Jay sein. Sondern das Mädchen. Und nicht nur sie.« Sie holte tief Luft und straffte sich, sammelte ihre Magie. »Sie ist klug, aber das wird ihr nichts nützen. Eines habe ich gelernt: Wer liebt, wird leichtsinnig. Das Mädchen ist listig, aber es gibt immer einen Weg in ein verwundbares Herz. An der Stelle, an der es am heißesten brennt.«
    Sie schloss die Augen und erinnerte sich an den Traum. Ein unvorsichtiger Traum in einer Kammer, in der ein toter Löwe mit Glasaugen sein Geheimnis nicht gut genug bewachte.
    *
    Ivy riss die Augen auf. Sie musste kurz eingeschlafen sein, trunken von Jays Küssen und seinen Berührungen, schwebend in dem Duft seiner Haut und seiner Nähe. Sie hörte seine Atemzüge und musste lächeln. Er vertraut mir, dachte sie mit einer Zärtlichkeit, die fast wie ein ziehender, leiser Schmerz war. Er liebt mich. Sie widerstand der Versuchung, ihn jetzt schon zu wecken und sich noch einen Kuss zu stehlen. Geh raus, sieh nach, ob der Sturm vorbei ist .
    Als sie sich langsam aufrichtete, glitt seine Hand ohne Widerstand von ihrer Schulter. Leise stand sie auf und schlüpfte in ihre Kleider. Mit dem Speer in der Hand eilte sie nach oben. Der Blizzard schien sich gelegt zu haben, sein Heulen war zu einem Jammern geworden, und als sie nach draußen kletterte, wölbte sich über ihr sternenklarer Himmel. Am liebsten hätte sie gejubelt. Das war viel mehr, als sie sich erhoffen konnte. Vielleicht schaffen wir es doch!
    Schnee knirschte leise unter ihren Sohlen, als sie auf dem Absatz kehrtmachte und zurück zum Durchgang stürzte.
    »Manstu eftir mér?« Der Schreck ließ sie innehalten. Ihre Sprache! Gesprochen mit dieser Stimme, die sie unter Millionen sofort erkannt hätte. Sie hatte gelernt, traumlos zu schlafen und ihre Träume in verborgene Kammern zu sperren, gut bewacht von magischen Zeichen. Nie sprach sie einen Namen im Traum aus, aber jetzt nannte sie seinen in Gedanken. Cael?
    Ihre Hand lag auf der verschneiten Hauswand, und sie ließ diesen Anker der Wirklichkeit nicht los, während sie sich umblickte.
    Es war wie in ihrem schlimmsten Traum, nur viel, viel klarer. Das Haar ihres älteren Bruders, sonst hellblond wie ihres, war weiß und gefroren, seine Haut blau, von Rissen überzogen. Seine Augenhöhlen waren leer, er suchte nach ihr, ohne sie zu sehen. »Manstu eftir mér? – Erinnerst du dich an mich? «, wiederholte er mit dieser klagenden Stimme, die ihr das Herz brach. Neben ihm kniete eine zweite Gestalt im Schnee. Ivy schlug die Hand

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