Zweilicht
versuchte. Der Schwung trug ihn trotzdem hinter die Tonnen. Ein Ruf erklang, dann ein dumpfer Laut, der schon beim Zuhören wehtat. Ihm folgte ein schrilles, schmerzerfülltes Jaulen, dann fiel die Tonne polternd um und Feathers versuchte sich hinkend und mit eingezogener Rute in Sicherheit zu bringen. Jemand hat ihn getreten , dachte Jay noch. Dann sah er sie schon – drei Kerle in braunen Lederjacken tauchten zwischen Mülltonnen und Zebrastreifen auf. Obwohl sie unterschiedlich groß und kräftig waren, wirkten sie wie Klone. Alle drei hatten einen Bürstenhaarschnitt. Soweit zum Thema berüchtigte Banden , schoss es ihm durch den Kopf. Sie hatten es eindeutig auf Feathers abgesehen.
Jays Puls schnellte hoch. Vielleicht lag es daran, dass er noch völlig durcheinander war, dass sein Blut nun zu kochen begann. Er sprang nach rechts und versperrte den Kerlen den Weg. »Lasst ihn!«
Der größte der Bande zögerte keinen Moment. Er grinste und gab seinen Kumpels ein Zeichen. Dann stürzten sie ohne Vorwarnung auf Jay los. Jay versuchte den Anführer einzuschätzen. Kräftig, aber nicht besonders groß. Außerdem wirkten alle drei, als seien sie nicht mehr nüchtern. Der Kleinste schwankte beim Gehen. Also hatte er eine Chance. Er wartete, bis der Anführer nah genug war und ausholte, dann duckte er sich halb weg und hebelte den bulligen Kerl mit der Schulter aus. Der Mann wurde gegen die Mülltonnen geschleudert, eine davon fiel mit einem Poltern um. Leere Flaschen rollten auf die Fahrbahn. Ein Auto hupte und wich den Flaschen in letzter Sekunde aus. Ich muss mich von der Straße weghalten , dachte Jay noch. Dann sauste eine Faust auf ihn zu. Knapp wich er aus, dann reagierte er nur noch. Die Kerle hatten keine Waffen und keine Taktik, sie versuchten ihn lediglich zu Boden zu zerren. Doch engen Kontakt mieden sie. Immer wieder sprang einer zurück und wartete, umkreiste die Gruppe, um dann wieder auf Jay loszugehen. Jay erwischte den Großen mit einem Tritt.
»Duck dich, Jay!« Instinktiv zog er den Kopf ein, dann brüllte einer der Kerle los wie ein angestochener Stier und taumelte zurück. Aus seinem Oberarm quoll Blut. Eine blutbefleckte Speerspitze stieß an Jay vorbei und traf Nummer zwei in den Oberschenkel. Starr vor Entsetzen sah er das Blut auf den Boden tropfen. Die Kerle flüchteten blindlings stolpernd über den Zebrastreifen zur anderen Straßenseite.
Ein Auto, das heranbrauste, hupte mit voller Kraft, doch Ivy schien es nicht zu hören, sie sprang auf die Straße, hob den Speer und zielte. Im letzten Moment konnte Jay sie am Arm packen und mit aller Kraft zurückreißen. Der Speerstab schlug gegen sein Schlüsselbein, dann prallte sie mit vollem Gewicht gegen ihn. Ohne nachzudenken, schloss er die Arme um sie, nutzte den Schwung und zog sie auf den Gehsteig. In allerletzter Sekunde. Das Auto schlingerte bei der Bremsung gefährlich nah am Bordstein entlang. Jay spürte den Luftzug und das leise Streifen, als Lack an seinem Ärmel entlangstrich. Das Auto fing sich wieder und raste aggressiv hupend davon.
Jay hielt Ivy immer noch fest, starr vor Schock. Er konnte ihren schnellen Atem spüren und das weiche Kaninchenfell unter seinen Händen. Sie war so real, dass er alles andere fast vergaß. Dann machte sich Ivy heftig los und sprang zurück. Das holte auch ihn aus der Erstarrung.
»Du kannst nicht einfach auf die Straße rennen«, keuchte er. »Bist du blind? Da sind Autos!«
Ivy sah ihn an, als würde er die chinesische Nationalhymne singen. Dann blickte sie sich um und schien erst jetzt zu begreifen, wo sie war. »Ach ja«, sagte sie lahm. »Autos.«
Jay war fassungslos. Auf der anderen Straßenseite verschwanden die drei Kerle eben in einer Tankstelle. Wo sie wahrscheinlich gleich die Polizei rufen.
»Dieser Feathers muss dir ja wirklich wichtig sein.« Ivy wischte in aller Ruhe die blutige Speerspitze an ihrer Hose ab. Bei diesem Anblick wurde Jay flau im Magen.
»Ich kann nicht fassen, dass du tatsächlich zugestochen hast. Du kannst doch nicht einfach Leute verletzen.«
Ivy runzelte ehrlich verwundert die Stirn. »Ist doch nur eine Fleischwunde.«
»Das war Körperverletzung. Mit einem Speer !«
Ihre Augen wurden schmal. Sie legte den Kopf schief. »Du weißt schon, wo du hier bist, oder?«, fragte sie spitz.
»In der Stadt der Wahnsinnigen«, erwiderte er. »Ganz offensichtlich.«
Jetzt schien sie wirklich gekränkt zu sein. Ihre Miene verdüsterte sich. »Die hätten dich
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