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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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das Seil, stemmte sich gegen einen Ast und ließ den Hund vorsichtig herunter. Kaum berührte das Netz den Boden, begann Feathers zu zappeln. Jay warf das lockere Seil über einen Ast und beobachtete erleichtert, wie der Hund sich aus der Falle herauskämpfte und auf die Beine kam.
    Ein diebisches Pixie-Lachen erklang. »Gut gemacht, Jay.« Er griff nach dem nächsten Ast und schwang sich herum. Ivy. Sie hatte sich das Seil geschnappt und holte gerade flink das Netz ein. Den Speer hatte sie in Greifweite auf zwei Astgabeln abgelegt.
    »Du kletterst nicht schlecht«, bemerkte sie mit einem breiten Lächeln.
    In einem Sekundenbruchteil schlug sein Schreck in Wut um. »Was sollte das?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »War die einzige Möglichkeit, dich allein zu sprechen. Hier oben, wo wir in Sicherheit sind. Und … ohne die anderen.« Sie musterte ihn wieder so intensiv, als würde sie seinen Wert abschätzen. »Schau mich nicht so sauer an«, sagte sie leichthin. »Ihm ist doch nichts passiert.«
    »Das nennst du ›nichts passiert‹? Soll ich mich jetzt auch noch bedanken, dass du heute ausnahmsweise nicht versucht hast, ihn mit dem Speer umzubringen? Und was sollte das vorhin? Hast du auf uns gezielt? Oder auf meine Freundin?«
    Meine Freundin. Es auszusprechen war fast wie ein Schock. Maddy und ich – zusammen.
    Das Mädchen war schlagartig ernst geworden. Im kalten Kunstlicht, das von fern durch die Zweige schimmerte, konnte er erkennen, dass ihre Augen vor Wut noch dunkler wurden.
    »Du nennst sie deine Freundin? Heißt das, du … liebst sie?«
    »Das geht dich gar nichts an.«
    »Ach, meinst du, ja? Da bin ich ganz anderer Meinung. Sie ist nicht gut für dich, Jay.«
    »Wie wär’s, wenn du mich einfach in Ruhe lassen würdest?«
    »Wie wär’s, wenn du aufhören würdest, hier herumzuschreien? Du lockst noch die anderen an.«
    Das war schon wieder so abgedreht, dass es ihm die Sprache verschlug.
    Sie hob das Kinn. Jetzt wirkte es fast so, als würde sie auf ihn herabschauen. Das gab ihm Zeit, sie genauer zu mustern. Sie sah zwar immer noch aus, als sei sie aus einem Fantasyfilm entsprungen. Aber aus der Nähe betrachtet, hatte sie nichts Magisches an sich, sie wirkte zwar fremdartig, aber er saß tatsächlich einem ganz normalen Mädchen gegenüber. In einem Baum, mitten in der Nacht. Sehr normal, Jay.
    »Um auf deine Frage zurückzukommen: Neulich dachte ich, der … Hund würde dich anfallen«, sagte sie nach einer Weile leise. »Ich wollte dich beschützen. Und vorhin habe ich euch nur beobachtet, dich und deine Freundin .«
    Die Art, wie sie das Wort aussprach, hatte etwas Herablassendes.
    Er zwang sich, tief durchzuatmen und ruhiger zu werden. Es war seltsam, aber in ihrer Gegenwart fiel es ihm plötzlich schwer, in der fremden Sprache zu reden. Mit Madison konnte er sich inzwischen sehr mühelos unterhalten, hier aber suchte er nach Worten.
    Eine gefühlte Ewigkeit starrten sie einander nur an. Sie trug dunkle, eng anliegende Hosen und weiche, geschnürte Schuhe, die an das Schuhwerk von Akrobaten erinnerten. Ein Messer steckte in einem Gurt, der sich diagonal über ihre Brust spannte. Ihre Handgelenke und ihren linken Fußknöchel zierten Ketten aus aufgefädelten bunten Glasperlen neben Federn und eckigen, flachen Steinen. Auch ein paar echte Perlen glaubte er zu entdecken. Nieuw Amsterdam trifft Herr der Ringe .
    »Gehörst zu einer Rollenspielgruppe?«
    Sie hob die Brauen, als würde sie ernsthaft über die Frage nachdenken. »Man könnte es tatsächlich als eine Art Spiel bezeichnen«, antwortete sie vorsichtig.
    »Warum verfolgst du mich? Was willst du von mir?«
    Sie zögerte, biss sich auf die Unterlippe. »Erst einmal … ein paar Antworten.«
    Obwohl sie sich nicht bewegt hatte, schien sie ihm näher zu sein als zuvor. Die Luft hatte plötzlich etwas von einem Magnetfeld, Jay wusste nur nicht, ob das Mädchen und er sich darin als Pole abstießen oder anzogen. Allerdings musste er widerwillig zugeben, dass er trotz allem fasziniert war. Und obwohl es überhaupt nicht hierher passte, fiel ihm irgendwo im Hinterkopf wieder auf, dass sie auf eine eigentümliche Art hübsch war.
    »Was sollte dieser Auftritt in meiner Schule? Wie bist du da überhaupt reingekommen?«
    »Geklettert. Ein Stück Dach fehlt – und ein paar Wände.« So widersinnig es auch klang, er wollte ihr glauben. Wenn es eine Erklärung gab, sah er keine Gespenster. Aber wäre eine reale Verrückte besser? Aidans Worte

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