Zweyer, Jan - Rainer
passieren und ihre Gepäckstücke einsammeln.
Die meisten Ankömmlinge packten ihre Taschen und Koffer auf die Fahrradanhänger der Abholer, andere nutzen die Pferdefuhrwerke, die auf Juist die Taxis ersetzten. Einige näherten sich zielstrebig einem kleinen Platz gut fünfzig Meter von der Anlegestelle entfernt, auf dem luftbereifte Karren auf autorisierte Nutzer warteten. Der Name ihrer Besitzer oder der der Hotels und Pensionen prangte unübersehbar auf den Seitenwänden.
Als alles umgeladen worden war und die wenigen neuen Fahrgäste das Schiff betreten hatten, nahm die Fähre wieder Kurs auf Norddeich. Bald darauf dämmerte es. Juist versank erneut in die beschauliche Ruhe der Vorweihnachtszeit.
Auf dem Weg ins Dorf, direkt neben dem Hafengebäude, passierten die Ankömmlinge einen ausgeklappten Tapeziertisch, hinter dem ein junger Mann mit Nickelbrille und Vollbart fröstelnd von einem Bein auf das andere stampfte. Er trug Jeans, einen selbst gestrickten Wollpullover und eine gelbe Regenjacke. Eine dunkelblaue Pudelmütze bändigte nur unzureichend seine zerzausten, halblangen Haare.
Vor dem Tisch hing ein Transparent, selbst gefertigt aus einem alten Bettlaken, bemalt mit einer kleinen, stilisierten gelben Sonne, die eine geballte Faust von sich streckte, und der Aufschrift: Kein Golfplatz auf Juist. Erhaltet die Insel. Schützt die Natur. Auf dem Tisch lagen, durch Steine vor dem Wegfliegen gesichert, einige Stapel Flugblätter und zwei Unterschriftenlisten, die jeweils nur wenige Namen enthielten.
»Unterstützen Sie unseren Kampf gegen die Bodenspekulation! Gegen den Ausverkauf unserer Insel! Kein Golfplatz auf Juist. Solidarisieren Sie sich mit Ihrer Unterschrift. Juist muss Töwerland bleiben. Wir brauchen kein zweites Sylt!«, rief der Mann mit verschnupfter Stimme den Ankommenden zu, von denen die meisten jedoch achtlos vorbeigingen.
Eine starker Windstoß drohte, die Flugblätter ihrer wortwörtlichen Bestimmung zuzuführen. Hastig beugte sich der Mann vor und rückte den Sicherungsstein in eine bessere Position.
»Moin, Christian. Jetzt geht’s gegen den Golfplatz?« Ein junger Mann war stehen geblieben.
Der Bärtige schreckte hoch. »Ach, du bist es. Moin, Hendrik.
Willst du deinen Vater besuchen?«
Hendrik Altehuus nickte. »Und was machst du?« Er deutete mit dem Kopf auf die Listen.
»Siehst du doch. Ich sammle Unterschriften.« Der leicht trotzige Unterton war nicht zu überhören.
»Scheinbar aber nicht sehr erfolgreich, oder?«
»Kein Wunder, bei dem Wetter«, räumte Christian Hanssen ein. »Unterschreibst wenigstens du?«
»Was hast du gegen den Golfplatz?«, fragte Altehuus zurück.
»Lies das.« Hanssen drückte seinem früheren Schulkameraden ein Flugblatt in die Hand. Der gab es ihm jedoch postwendend zurück. »Erzähl es mir lieber.«
»Wann? Jetzt?«
»Warum nicht? Mein Vater sitzt ohnehin noch in seinem Büro.« Altehuus sah sich um. Mit Ausnahme der Hafenarbeiter, die die Frisia Neun zur Abfahrt vorbereitet hatten, war der Kai menschenleer. »Hier unterschreibt doch niemand mehr. Komm, lass uns etwas klönen. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Im Sommer?«
Christian Haussen nickte bestätigend und begann wortlos, Flugblätter und Unterschriftenlisten in einer Tüte zu verstauen und den Stand abzubauen. Er packte die Sachen und die Reisetasche seines Schulfreundes in seinen Fahrradanhänger.
»Wohin?«
»Wer hat auf?«, kam die Gegenfrage.
»Kompass?«
Von ihrem Platz im Schankraum sahen sie auf den kleinen Kurplatz. Der stärker gewordene Nordostwind zerrte an den wenigen Passanten, die im nahe gelegenen Supermarkt ihre Einkäufe erledigt hatten und bepackt mit Körben und Taschen nach Hause eilten. Es begann leicht zu schneien.
»Scheint noch kälter geworden zu sein«, bemerkte Hendrik Altehuus.
»Sieht so aus«, antwortete Christian und schlürfte seinen Eierpunsch. Hendrik wartete geduldig. Sein Freund setzte das Glas ab und schaute wieder aus dem Fenster. Dann begann er zu erzählen.
»Schon seit einigen Jahren beabsichtigt ein Konsortium schwerreicher Hamburger und Bremer Geschäftsleute auf unserer Insel einen Golfplatz zu bauen.«
»Klingt doch nicht schlecht?«
»Zunächst nicht. Die Investitionen lohnen sich aber nur dann, wenn die potenziellen Golfer auch ihre Ferienhäuser hier bauen dürfen. Dafür brauchen sie Grundstücke. Und wie du weißt, ist der Platz auf Juist begrenzt. Deshalb dürfen Neubauten hier nur erstellt werden, wenn
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