Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
nur was essen, nicht den amerikanischen Präsidenten besuchen.
»Ihre Nummer bitte.«
»Warum denn das?«
»Ihre Nummer bitte.« Der Zerberus wurde, dem Tonfall nach zu urteilen, ungeduldig.
»Aber warum…«
»Bitte, Rainer«, unterbrach ihn Carola, »gib sie ihm.«
»Ich weiß zwar nicht, warum das wichtig ist…«, den Rest des Satzes schluckte er im Interesse eines schönen Abends herunter, »… aber bitte.« Er kramte die Karte seiner Pension aus der Tasche und knallte sie Sidney Poitier auf den Tisch.
Ungerührt von Eschs leicht dramatischer Gestik schnappte sich der Mann die Karte, verglich sie mit den Eintragungen in seiner Kladde und fragte: »Sie wohnen da?«
»Was meinen Sie denn?« Rainer gewann den Eindruck, in dem Restaurant würden keine Speisen ausgegeben, sondern Kronjuwelen ausgestellt.
Sidney gab ihm die Karte zurück und murmelte etwas Unverständliches in sein Mikrophon. Esch steuerte schnurstracks die Treppe an, wurde aber zurückgerufen.
»Warten Sie, please.«
»Was gibt’s denn jetzt noch?« Esch begann, sich zu ärgern.
»Warum dürfen wir nicht da runter?«, fragte er.
Carola und zeigte auf die Treppe, die nach unten ins Restaurant führte.
»Wir müssen warten, bis ein Tisch frei wird«, antwortete sie.
»Aber wir haben doch reserviert?«
»Trotzdem. Wir kommen da nicht eher runter, bis unser Tisch frei ist.«
»Ach so, ihr Ossis habt euch noch nicht an die freie Auswahl gewöhnt, sondern wartet immer noch darauf, platziert zu werden.«
»Arsch.«
»Entschuldige, Carola, aber wie soll ich das Theater denn hier sonst werten?«
»Hab ich gelacht.«
Esch hielt die Klappe. So hatten sich vor einem Jahr die Gespräche mit Stefanie auch immer entwickelt. Und das vorläufige Ende, na ja…
»Ihr Tisch ist jetzt frei.« Zerberus öffnete den Zugang zum Allerheiligsten.
Im eigentlichen Restaurant angekommen, nahm sie ein weiterer Microträger in Empfang und führte sie zu ihrem Platz.
Kurz darauf näherte sich ein Kellner, stellte sich namentlich mit breitem amerikanischem Akzent als John vor, versprach, immer für sie ganz speziell da zu sein, und reichte ihnen die Speisekarte. Esch studierte die Karte, die fast ausschließlich kalifornische Speisen offerierte.
Auch im Restaurantbereich hingen und standen Requisiten aus zahlreichen Filmen. Über zwei Großleinwände und zahlreiche Monitore flimmerten im Sekundentakt Ausschnitte aus Hollywoodproduktionen, dazu erschwerte eine mehr oder weniger zu den Filmausschnitten passende Musik aus Megawattlautsprechern jede Unterhaltung.
Unwillkürlich sah Esch immer wieder auf die bewegten Bilder, die über die Monitore liefen. John brachte die Getränke.
»Sag mal«, fragte Esch und nahm ihren unterbrochenen Gesprächsfaden vom Vortag wieder auf, »wie kann es eigentlich sein, dass nach der Wende die alten Strukturen und Seilschaften mehr oder weniger unverändert in die Bundesrepublik hinüber gerettet wurden?«
»Das hat was damit zu tun, dass wir Ossis trotz des Einsatzes der gut bezahlten Helfer aus dem Westen unverzichtbar für die Funktionsfähigkeit des Systems waren und sind.«
»Du meinst also, wir brauchen Typen wie Grohlers und Rallinski, damit der Kapitalismus im früheren Sozialismus funktioniert?«
»Genau so. Die kennen sich untereinander, wissen um die Gegebenheiten, die Schwachstellen, haben die informellen Kontakte, ohne die ein Wirtschaftssystem nicht funktionieren kann. Und da diejenigen, die früher an den Schalthebeln der Macht saßen, in der Regel nicht die dümmsten waren, werden sie auch jetzt benötigt. Für den viel zitierten kleinen Mann hat sich, was seine Vorgesetzten angeht, häufig nicht viel geändert. Der frühere Kaderleiter ist heute Personalchef, was im Grunde auf dasselbe hinausläuft.«
»Verstehe. Aber warum tut ihr nichts dagegen? Wendet euch zum Beispiel an die Presse, macht solche Seilschaften öffentlich?«
»Du bist vielleicht naiv. Viele begreifen das doch gar nicht als Problem. Das war früher so, das ist heute so. Fertig. Die Leute haben doch viel zu viel miteinander gemein, als dass sie sich, von Ausnahmen mal abgesehen, gegenseitig in die Pfanne hauen würden. Außerdem muss man den arroganten Wessis ja nun wirklich nicht alles erzählen.« Carola grinste. »Und dann gibt es da ja auch noch die weit verbreitete Überzeugung, dass nicht alles an der früheren DDR schlecht war.«
»Aber euer sozialistisches Modell ist ja nun wirklich gescheitert.«
»Typisch Wessi.
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