Zweyer, Jan - Rainer
vorher.
Ihn kotzte das an: die dicken, sabbernden alten Männer, die mit gierigen Händen durch sein Haar strichen und voller Geilheit seinen Körper betatschten. Die jüngeren, starken, die ihn benutzten und um seinen Lohn prellten. Die Bullen, die sie von Zeit zu Zeit hochnahmen und nachts irgendwo zwischen Essen und Wattenscheid wieder auf die Straße warfen. Die Hausfrauen, die ihre Handtaschen fester an sich drückten, wenn sie auf ihn und seine Freunde aufmerksam wurden. Und die dummen Sprüche der Schlipsträger, wenn er sie um einige Cent anbettelte, um sein Gesicht nicht in einem stinkenden Schoß vergraben zu müssen. Einige Gramm in der Pumpe hochziehen und dann abtreten. Der goldene Schuss. Dann wäre alles vorbei. Aber noch war er nicht so weit.
Der Junkie begann zu frösteln. Und das bei achtundzwanzig Grad! Der Affe meldete sich zurück.
Zehn Meter von ihm entfernt blieb ein Mann stehen und musterte ihn gründlich. Snoopy schlenderte aufreizend langsam in seine Richtung und setzte seinen Körper in Szene, so wie es ihm Anita beigebracht hatte.
Als er den Typen erreicht hatte, blieb er stehen und sah ihm in die Augen. Mit einem Lächeln fragte der Junge: »Haben Sie eine Zigarette für mich?«
Der Mann kramte umständlich in seiner Jackentasche. Dabei blickte er unruhig umher.
Das ist ein Freier, dachte Snoopy. Und er hat es noch nicht sehr häufig gemacht. Mit etwas Glück dürfte hier mehr zu holen sein als üblich.
Sein Gegenüber hatte seine Zigaretten gefunden und bot ihm eine an.
»Danke.« Der Stricher spitzte die Lippen und beugte seinen Kopf nach vorne. »Feuer?«, hauchte er.
Als ihm der Mann Feuer gab, berührte Snoopy mit seiner Linken wie zufällig die Hand des anderen. Der zuckte zurück.
Jetzt war sich der Junge sicher. Ein Freier. Und absolut unerfahren.
»Einen runterholen zehn. Blasen dreißig«, sagte er leise.
»Ohne Gummi das Doppelte. Wenn du Sonderwünsche hast…
Wir können über alles reden.«
Der Mann nickte. »Komm mit«, sagte er mit einem harten Akzent.
Ein Spätaussiedler, dachte Snoopy. Jemand in der Art.
Sie gingen gemeinsam zu dem Parkplatz, der unter einer der Abfahrten der A 40 lag. Sein Wagen steht mit Sicherheit ganz hinten, dachte Snoopy. Da, wo es auch am Tag dämmrig und die Gefahr einer Störung am geringsten war.
Doch zu seiner Überraschung steuerte der Freier einen dunklen Mercedes an, der in Sichtweite des Parkplatzwächters abgestellt war.
Der Mann betätigte die ferngesteuerte Zentralverriegelung und sagte: »Steig ein.«
Gehorsam kletterte Snoopy auf den Beifahrersitz. Als der Mann neben ihm Platz genommen hatte, griff der Junge an die Innenseite des Oberschenkels des Älteren. Seine Hand rutschte langsam höher. Vielleicht könnte er…
»Lass das«, herrschte der Typ ihn an.
»Aber ich dachte…«
»Hast du Aids?«
Daher wehte der Wind. Der Typ hatte Angst vor Ansteckung.
»Nein«, log Snoopy. »Aber ich habe Gummis dabei. Du kannst…«
Der Mann griff in seine Hemdtasche und warf ihm einen Fünfziger zu. »Das Geld ist für dich. Beantworte meine Frage.
Hast du Aids?«
Der Strichet zögerte, nickte dann aber verwundert. Leichter hatte er noch nie einen Schein verdient. »Gut. Wie heißt du?«
»Snoopy.«
»Bist du in ärztlicher Behandlung?«
»Nein, warum?«
»Okay, Snoopy. Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen.«
8
Die Schuberts bewohnten eine dieser kleinen Reihenhausschachteln am Südrand Dülmens, denen man ansah, dass sich ihre Besitzer krumm legen mussten, um die Raten bezahlen zu können: zwanzig identische Gebäude nebeneinander, die sich nur durch die Hausnummern unterschieden, zwei Etagen auf höchstens neunzig Quadratmetern und ein Garten von Handtuchgröße hinter dem Haus.
Kirsten Schubert war gerade erst dreißig geworden, wie Baumann aus den Akten wusste, wirkte aber deutlich älter.
Ihrem Gesicht sah man an, dass sie nicht nur Haushalt, Mann und drei kleine Kinder versorgen musste, sondern auch noch durch eine Putzstelle dazu beitrug, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.
Sie bat die Beamten in das Wohnzimmer, wo ein Kleinkind auf einer Decke auf dem Boden spielte und fröhlich krähte, als es den unverhofften Besuch erblickte.
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, aufzuräumen«, entschuldigte sich die junge Frau. »Einkaufen, das Mittagessen vorbereiten… Die beiden Großen kommen gleich aus der Schule. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte sie, nachdem sie kleine Puppen,
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