Zweyer, Jan - Rainer
dem Schmerz. Nein, es war das Geräusch. Nur das. Und wenn er das nicht mehr hören müsste, dann…
»Herr Baumann, bitte.«
Mit weichen Knien folgte er der Arzthelferin.
»Herr Doktor ist im Besprechungszimmer. Die nächste Tür links«, wies sie ihm den Weg.
Erleichtert nahm Heiner Baumann zur Kenntnis, dass das Besprechungszimmer wie ein normales Büro eingerichtet war.
Kein Bohrer weit und breit. Schlagartig verschwand das Ziehen in seinem rechten Backenzahn. Und auch seinen eben getroffenen Vorsatz hatte er schon fast wieder vergessen.
Der Zahnarzt begrüßte ihn. Er war klein und schmächtig und ähnelte Hannibal Lecter nicht im Geringsten. »Sie sind von der Kriminalpolizei?«, fragte der Arzt.
Baumann holte seinen Dienstausweis hervor und wollte ihn dem Mediziner zeigen, als dieser schon abwinkte. »Nein, lassen Sie. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie hatten einen Patienten namens Theo Bauer.«
»Hatten? Wie soll ich das verstehen?«
»Theo Bauer ist tot.« Der Kommissar zog die richterliche Verfügung aus der Tasche und reichte sie dem Arzt. »Die Entbindung von Ihrer Schweigepflicht.«
Doktor Semering warf einen Blick auf den Beschluss. »Kann ich das Schriftstück behalten?«
Baumann nickte.
»Ja. Theo Bauer war mein Patient. Was ist ihm geschehen?«
»Er ist vermutlich bei einer Explosion ums Leben gekommen. Wir haben einen Toten gefunden und müssen ihn noch zweifelsfrei identifizieren.«
»Die Gasexplosion vom letzten Samstag?«
»Ja.«
»Schrecklich. Und bei dem Toten handelt es sich um Herrn Bauer?«
»Um das festzustellen, bin ich hier.« Baumann griff wieder zum Aktenkoffer und präsentierte dem Zahnarzt die Unterlagen der Pathologie. »Sehen Sie sich das Material bitte in Ruhe an.«
Semering setzte eine Lesebrille auf und drückte die Ruftaste der Gegensprechanlage. »Carola, bitte bringen Sie mir die Patientenunterlagen von Theo Bauer aus Suderwich.« Und zu Baumann gewandt sagte er: »Einen Moment.«
Fünf Minuten später hatte sich ihre Vermutung bestätigt. Der Tote war ohne Zweifel Theo Bauer.
Als der Kommissar wieder in sein Büro kam, war das Ergebnis der Sprachanalyse des LKA nach Recklinghausen gefaxt worden. Vier Seiten eng bedrucktes Papier. Baumann kämpfte sich durch das Fachchinesisch. Der entscheidende Satz stand wie immer auf der letzten Seite:… ist daher mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich bei dem Sprecher um einen Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren handelt, der im Großraum München geboren wurde.
Na bitte! Das war doch schon was. Nicht viel, aber ein erster Ansatzpunkt. Der unbekannte Anrufer war also ein Bayer.
Brischinsky hatte Recht gehabt.
Es klopfte. Die Tür wurde geöffnet und Gernot Müller von der Drogenfahndung betrat das Büro.
»Hier.« Er warf Baumann eine Akte auf den Schreibtisch.
»Ich war gerade in der Poststelle. Das Ding lag bei euch im Fach. Der Bote hat es wohl vergessen. Und da ich gerade ohnehin hier auf der Etage zu tun hatte…«
Heiner Baumann widerstand der offensichtlichen Aufforderung, Müller nach dem Grund seines Aufenthaltes in diesem Teil des Präsidiums zu fragen. Sein Kollege war für seine langatmigen und noch langweiligeren Ausführungen über seine aktuellen Fälle berüchtigt. Baumann bedankte sich, verabschiedete den etwas enttäuscht wirkenden Drogenfahnder und warf dann einen Blick in die Unterlagen. Es war der Bericht der Bochumer Gerichtsmedizin in Sachen Horst Mühlenkamp, der bisher noch gefehlt hatte. Baumann sah zur Uhr. Kurz vor Feierabend. Der Kommissar packte das Schriftstück zu den anderen und klappte den Aktendeckel wieder zu. Morgen war auch noch ein Tag.
18
Snoopy hatte keine abgeschlossene Schulausbildung, aber drei Jahre auf der Straße verbracht. Er kannte fast alle Tricks, jede Abzocke. Und er machte sich so seine Gedanken. Drei Ärzte hatte er in den vergangenen Tagen aufgesucht. Nun fragte sich der Junkie, was sein Auftraggeber mit den Rezepten vorhatte.
Die Medikamente einkassieren und dann zu Kohle machen?
Möglich. Aber wer kaufte schon Mittel gegen Aids?
Methadon, klar. Dafür gab es einen Markt. Vielleicht auch für Schmerzmittel. Aber für dieses Zeug?
Ziemlich schnell war ihm klar geworden, dass es nicht um die Pillen, sondern um die Rezepte ging. Der Patient ging in die Apotheke, gab den Wisch ab, zahlte ein paar Euro dazu und bekam die Medizin. Die Zettel waren im Grunde wie Schecks.
Man musste sie nur einlösen. Der
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