Zweyer, Jan - Rainer
war auf alles vorbereitet. Einige Sekunden lang erwiderte der Apotheker ruhig und gelassen seinen Blick. Stand einfach nur hinter seinem Tresen und sah ihn an. Irgendwie machte der Mann einen belustigten Eindruck. Snoopys Gedanken rasten.
Wenn er sich nun doch geirrt hatte? Wenn der Zettel im Stadtplan wirklich nur ein dummer Zufall gewesen war? Aber was hatte dann sein Auftraggeber in der Apotheke gewollt?
Verdammt, warum sagte der Kerl nichts!
Snoopy war in den letzten Stunden im Kopf Dutzende Dialoge durchgegangen. Er war sich sicher, fast jede Reaktion des anderen eingeplant zu haben. Vorgetäuschte Unwissenheit erschien ihm am wahrscheinlichsten. Zunächst würde der Typ so tun, als ob er nicht wüsste, wovon Snoopy sprach. Und später alles abstreiten. Wenn es ganz schlecht lief, würde der Weißkittel ihm drohen, vermutlich mit der Polizei.
Aber was war, wenn der Apotheker nicht nur drohen, sondern tatsächlich einfach die Bullen rufen würde? Würde der Kerl das riskieren? Warum eigentlich nicht? Wem würden die Polizisten glauben? Ihm, einem Junkie und Stricher auf Trebe?
Snoopy begann zu schwitzen. Jetzt sag doch endlich was, dachte er. Sag was!
Als der Apotheker endlich antwortete, waren alle fein gesponnenen Pläne mit einem Schlag im Eimer.
»Ich habe mir schon gedacht, dass eines Tages einer von euch hier auftaucht. Irgendwann musste das wohl so sein. Du weißt, worum es geht?«
Snoopy nickte stumm.
»Und du kannst alles liefern?«
Der Stricher nickte wieder.
»Gut. Wir müssen die Einzelheiten besprechen. Morgen Abend. Aber nicht hier. Wir treffen uns an einem sicheren Platz. Kann ich dich telefonisch erreichen?«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich rufe Sie am Vormittag an.«
»In Ordnung. Brauchst du was?«
Es dauerte lange, bis Snoopy begriff.
»Sicher brauchst du was. Ihr braucht immer was. Warte einen Moment.«
Eine Minute später verließ Snoopy die Apotheke, fünf Gramm Heroin in der Tasche. Sein Herz hüpfte vor Freude. So einfach hatte er sich den Deal nicht vorgestellt. Jetzt war er am Drücker. Er würde seine Freunde für sich arbeiten lassen.
Wenn er sie etwas besser bezahlen würde als der Mercedesfahrer ihn, waren sie sicher dazu bereit.
Das Äitsch brannte in seiner Tasche. Für zwei, drei Tage hatte er Ruhe vor den Freiern. Und wenn er erst richtig im Geschäft war…
Seine Hände zitterten, als er an einem Bahndamm hinter einer Reklamewand den Stoff prüfte und dann über der Kerze aufkochte. Die Farbe des Dopes war irgendwie anders als sonst. Bestimmt war das Zeug ziemlich rein, sagte er sich. Ein Apotheker wird in seinem Laden doch kein gestrecktes Äitsch bunkern. Also vorsichtig. Nicht zu viel. Reines Äitsch! Damit hatte sich schon mancher eine Überdosis gesetzt. Er hatte ja Zeit und noch genug Vorrat. Wenn es nicht reichte, konnte er beim nächsten Schuss die Dosis etwas erhöhen. Nur ruhig.
Gleich würde es ihm wieder richtig gut gehen.
Snoopy band sich den linken Oberarm mit einem Lederriemen ab. Dann zog er die Spritze auf und schlug mit seiner Rechten so lange in die Armbeuge, bis die Vene stärker hervortrat. Er musste lange suchen, bis er eine halbwegs abszessfreie Stelle fand. Er drückte sich die Nadel in die Ader und wartete auf die Wirkung. Die stellte sich sofort ein. Aber anders als erwartet. Es blieb ihm noch nicht einmal mehr Zeit, die Spritze aus seiner Vene zu ziehen.
Es war, als ob jemand mit glühenden Eisen in seinen Gedärmen herumstocherte. Snoopy schnappte nach Luft, wollte schreien. Aber er konnte nur leise stöhnen. Zu leise, um die zwanzig Meter von seinem Versteck entfernt vorbeieilenden Passanten zu alarmieren. Ein tonnenschweres Gewicht legte sich auf seine Brust. Er konnte nicht mehr atmen, sein Puls raste, schließlich kollabierte der Kreislauf.
Der junge Stricher sah das lächelnde Gesicht des Apothekers vor sich. Sein Körper bäumte sich auf, zuckte noch einmal und fiel dann in den Dreck zurück. Mit panisch aufgerissenen Augen krepierte er zwischen leeren Getränkedosen, weggeworfenen Müllbeuteln und Hundescheiße.
Sein Leichnam wurde zwei Stunden später von einem Mann gefunden, der sich hinter der Plakatwand erleichtern wollte.
Goldener Schuss, stand im Bericht der Gerichtsmedizin.
Hervorgerufen durch mit Strychnin verunreinigtes Heroin.
Snoopy war der sechste Drogentote in Essen in diesem Sommer. Ein Routinefall. Die Akte wurde noch in derselben Nacht geschlossen.
19
Nach dem Verzehr der Gänseleber
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