Zwielicht
Dann würde Polizeichef Kelsko unter irgendeinem Vorwand eine Razzia durchführen. Er würde Durchsuchungsbefehle und Schießwaffen bei sich haben, und er würde seine Nase nicht nur in Schaubuden, Zelte und Fahrgeschäfte stecken, sondern auch in unsere Wohnwagen, und er würde nicht ruhen, bis er die Troll-Mörder unter den Schaustellern ausfindig machen und auf irgendeine Weise liquidieren konnte.
Wenn es uns hingegen gelang, auch den sechsten Troll umzubringen und mit seinen Gefährten zu begraben, würde Kelsko zwar vielleicht vermuten, daß ein Schausteller für ihr Verschwinden verantwortlich war, aber er hätte keinerlei Beweise und käme wahrscheinlich nicht auf die Idee, daß die Saboteure als Trolle entlarvt worden waren. Wenn dieser sechste Unhold also daran gehindert werden konnte, Alarm zu schlagen und eine genaue Beschreibung von Joel und mir zu geben, bestand zumindest eine Hoffnung, daß uns nichts geschehen würde.
Meine rechte Hand war schweißnaß. Ich wischte sie an meinen Jeans ab und packte mein Wurfmesser an der Klinge. Meine Arme schmerzten von den Prügeln, die ich bezogen hatte, aber ich glaubte, trotzdem einigermaßen genau zielen zu können. Ich informierte Joel flüsternd über meine Absicht, und als der Troll in einer anderen Richtung nach seinen dämonischen Gefährten Ausschau hielt, lief ich einige Schritte vor, blieb stehen, als er den Kopf wieder in meine Richtung wandte, und schleuderte das Messer mit aller Kraft und Konzentration, die ich aufbringen konnte.
Ich hatte es eine Sekunde zu früh geworfen und etwas zu tief gezielt. Die Klinge bohrte sich nicht, wie beabsichtigt, in seine Kehle, sondern nur in seine Schulter. Der Unhold taumelte rückwärts und prallte gegen die Kartenverkaufsbude. Ich rannte auf ihn zu, stolperte über die Kabel und fiel zu Boden.
Bis Joel den Troll erreichte, hatte dieser das Messer aus seiner Schulter herausgezogen, konnte sich aber nur mit Mühe auf den Beinen halten. Mit einem Knurren und schlangenartigen Zischen, die nichts Menschliches an sich hatten, wollte er Joel erstechen, aber der Riese wich geschickt aus, schlug der Kreatur das Messer aus der Hand, stieß sie zu Boden, warf sich auf sie und erwürgte sie.
Ich nahm mein Messer an mich, wischte die Klinge an einem Hosenbein ab und steckte es in die Scheide in meinem Stiefel.
Sogar wenn es mir gelungen wäre, alle sechs Trolle ohne Joels Hilfe zu töten, hätte mir die Kraft gefehlt sie allein zu beerdigen. Joel war bärenstark und konnte zwei Leichen auf einmal ziehen, während ich nur eine schaffte. Ich hätte den Weg zum Wald hinter dem Jahrmarktsgelände sechsmal gehen müssen, aber zu zweit brauchten wir die Strecke nur zweimal zurückzulegen.
Außerdem brauchten wir dank Joel keine Gräber zu schaufeln. Wir schleppten die Leichen nur wenige Meter durch den Wald, zu einer kleinen Lichtung, wo ein Kalksteinschacht sich hervorragend als Ruhestätte eignete.
Während ich neben dem Loch niederkniete und mit Joels Taschenlampe in die scheinbar unendliche Tiefe leuchtete, fragte ich: »Woher wußtest du, daß es hier so was gibt?«
»Ich erkunde die Gegend überall, wo wir hinkommen. Es ist beruhigend zu wissen, daß man im Bedarfsfall einen Friedhof zur Verfügung hat.«
»Auch du führst Krieg gegen die Trolle«, stellte ich fest.
»Nein. Jedenfalls nicht so wie du. Ich bringe sie nur um, wenn ich keine andere Wahl habe, wenn sie die Absicht haben, Schausteller zu ermorden oder aber Besucher auf dem Rummelplatz bei inszenierten Überfällen zu verletzen oder zu töten und die Schuld daran uns in die Schuhe zu schieben.
Gegen das Unheil, das diese Kreaturen draußen in der Welt anrichten, bin ich machtlos. Es ist nicht so, daß mir das Schicksal aller Menschen außer den Schaustellern gleichgültig wäre. Aber ich bin nun einmal nur ein einzelner Mann und kann bestenfalls meine eigene kleine Welt beschützen.«
Die Bäume, die wie schwarzgekleidete heidnische Priester die Lichtung umgaben, raschelten mit ihren Blattgewändern.
Aus dem Schacht stank es nach Tod und Verwesung.
»Hast du hier schon früher Trolle hineingeworfen?«
»Nur zwei. In Yontsdown lassen sie uns meistens in Ruhe, weil sie vollauf damit beschäftigt sind, Schulen in Brand zu stecken, Leute bei Kirchenpicknicks zu vergiften und dergleichen mehr.«
»Du weißt also, was für ein Schlangennest diese Stadt ist!«
»Ja.«
»Wann hast du die beiden anderen hier begraben?« fragte ich, während ich wieder
Weitere Kostenlose Bücher