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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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geistigen Auge auf: Joel in einem bequemen Schaukelstuhl neben einem riesigen Steinkamin, in ein gutes Buch vertieft und an Brandy nippend — und zwischendurch stand er auf, nahm eine Leiche von dem großen Stapel und warf sie ins Feuer, zu den anderen Männern und Frauen, die von den Flammen schon halb verzehrt waren. Abgesehen von der Tatsache, daß Leichen anstelle von Holzscheiten verwendet wurden, war es eine anheimelnde Szene, und Joel pfiff sogar glücklich vor sich hin, während er mit dem Feuerhaken in dem brennenden Fleisch herumstocherte. Ich konnte nur mit größter Mühe ein wildes Lachen unterdrücken, und die Erkenntnis, daß ich einem hysterischen Anfall nahe war, erschreckte mich zutiefst. Ich schüttelte heftig den Kopf und verbannte dieses makabre Bild aus meinem Hirn.
    Als ich mich soweit erholt hatte, daß ich aufzustehen versuchte, war Joel mir dabei behilflich. Im gespenstischen Mondlicht sah sein Gesicht nicht etwa, wie man hätte glauben können, noch alptraumhafter aus, sondern weicher, weniger erschreckend, wie eine unbeholfene Kinderzeichnung. Ich lehnte mich einen Augenblick lang an ihn, und dabei kam mir wieder zu Bewußtsein, wie riesig er war. »Ich bin okay«, flüsterte ich schließlich.
    Wir kamen weder auf sein plötzliches Auftauchen noch auf seine Bereitschaft zu sprechen, einen Mord zu begehen, obwohl er ja angeblich nie im Leben einen Troll gesehen hatte. Darüber konnten wir uns später unterhalten. Falls wir überlebten.
    Ich hinkte zu meinem Messer. Als ich mich danach bückte, wurde mir schwarz vor Augen, aber ich überwand dieses Schwächegefühl und kehrte in der unnatürlich steifen Haltung eines Betrunkenen, der einen Alkoholtest zu bestehen hofft, zu Joel zurück.
    Er ließ sich durch mein Manöver jedoch nicht täuschen, nahm mich beim Arm und stützte mich auf dem Weg zu einer dunklen Stelle etwas abseits von der Straße.
    »Gebrochene Knochen?« erkundigte er sich.
    »Ich glaube nicht.«
    »Schlimme Wunden?«
    »Nein«, sagte ich, während ich die größten Holzsplitter aus meinen Händen herauszog. Schwere Verletzungen hatte ich zum Glück nicht erlitten, aber mir würden morgen sämtliche Knochen weh tun. Falls ich den nächsten Morgen erlebte...
    »Hier treiben sich noch mehr Trolle herum«, berichtete ich.
    Er schwieg.
    Wir lauschten.
    Irgendwo in der Ferne pfiff ein Zug. Ganz in der Nähe verursachten Motten mit ihren Flügeln kaum hörbare Geräusche.
    Atemzüge. Unsere eigenen.
    Schließlich flüsterte er: »Was glaubst du, wie viele es sind?«
    »Sechs.«
    »Zwei habe ich umgebracht.«
    »Einschließlich des Kerls, der mir den Garaus machen wollte?«
    »Nein. Also insgesamt drei.«
    Wie ich, so hatte auch er gewußt, daß die Trolle in dieser Nacht das Riesenrad für einen ›Unfall‹ präparieren wollten. Wie ich, so hatte auch er sie daran hindern wollen. Ich hätte ihn am liebsten umarmt.
    »Ich habe zwei erledigt«, flüsterte ich.
    »Dann ist also noch einer übrig?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Sollen wir ihn zur Strecke bringen?«
    »Nein.«
    »Oh?«
    »Wir müssen ihn zur Strecke bringen.«
    »Richtig.«
    »Das Riesenrad«, zischte ich.
    Wir schlichen uns in die Nähe der gewaltigen Konstruktion. Trotz seiner mächtigen Statur bewegte sich Joel mit athletischer Anmut und völlig lautlos. Ich spähte vorsichtig hinter einem Generator hervor und sah den sechsten Troll neben dem Eingang zum Riesenrad stehen.
    Er war als großer, muskulöser Mann Mitte Dreißig mit blondem Lockenkopf getarnt. Doch da er im bleichen Mondlicht stand, das ihn mit Talkumpuder zu bestäuben schien, konnte ich den Troll in ihm sogar aus einer Entfernung von etwa zehn Metern deutlich erkennen.
    »Er ist nervös«, flüsterte Joel.
    »Fragt sich bestimmt, wo die anderen bleiben. Wir müssen ihn bald erledigen — bevor er es mit der Angst zu tun bekommt und verduftet.«
    Wir schlichen uns anderthalb Meter näher an den Dämon heran und verharrten an der einzigen Stelle, die noch etwas Deckung bot. Um den Troll zu erreichen, mußten wir etwa dreieinhalb Meter freie helle Fläche hinter uns bringen, über den niedrigen Zaun springen und weitere vier bis fünf Meter zurücklegen, behindert durch die Kabel, die dort überall herumlagen.
    Natürlich würde unser Feind uns sehen und um sein Leben rennen, und wenn wir ihn nicht einholten, würde er nach Yontsdown zurückrasen, um die anderen zu warnen: Auf dem Rummelplatz gibt es Leute, die offenbar unsere Tarnung durchschauen können!

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