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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sehen, zunächst noch in vagen Konturen, dann aber in allen grausigen Einzelheiten.
    Als Denton Harkenfield aus Oklahoma — oder aus der Hölle — in unser Tal kam, konnte ich bereits erkennen, daß jener rauchförmige Geist nicht nur eine geheimnisvolle neue Form psychischer Energie war, sondern ein eigenständiges Wesen, ein Dämon oder Puppenspieler oder Gott-weiß-was. In den Monaten, als Denton meiner Tante Paula den Hof machte, nahm meine Fähigkeit, den verborgenen Troll wahrzunehmen, stetig zu, und in der Woche vor der Trauung geriet ich bei dem Gedanken, daß sie völlig ahnungslos ein solches Ungeheuer heiraten würde, in wilde Panik. Aber ich konnte nichts tun, um diese Heirat zu verhindern.
    Alle anderen waren der Meinung, daß Tante Paula sich glücklich schätzen konnte, einen so beliebten und bewunderten Mann wie Denton Harkenfield gefunden zu haben. Sogar Kerry, mein Lieblingsvetter und bester Freund, ließ auf seinen zukünftigen Vater nichts kommen, der sein Herz im Fluge erobert und versprochen hatte, ihn zu adoptieren.
    Meine Familie wußte um meine hellseherischen Gaben, und meine Vorahnungen und psychischen Einblicke wurden ernst genommen. Einmal, als Mutter zum Begräbnis ihrer Schwester nach Indiana fliegen mußte, hatte ihr Flugticket eine derart ominöse Ausstrahlung, daß ich einen Flugzeugabsturz prophezeite. Ich machte einen solchen Wirbel, daß sie in letzter Minute einen anderen Flug buchte. Jenes Flugzeug stürzte zwar nicht ab, aber unterwegs brach an Bord ein Brand aus; viele Passagiere erlitten Rauchvergiftungen, und drei erstickten, bevor der Pilot notlanden konnte. Ich habe natürlich keinen Beweis dafür, daß meine Mutter ein viertes Todesopfer gewesen wäre, aber als ich ihr Ticket berührt hatte, hatte ich statt Papier das kalte, harte Messing eines Sarggriffs unter meinen Fingern gespürt.
    Ich hatte aber nie jemandem erzählt, daß ich in einigen Menschen rauchförmige Schatten sehen konnte. Zum einen wußte ich ja nicht, was sie zu bedeuten hatten. Und ich spürte von Anfang an, daß ich in schrecklicher Gefahr schweben würde, falls eine dieser Personen gewahr wurde, daß ich in ihr einen Unterschied zu anderen Menschen wahrnahm. Deshalb behielt ich dieses Geheimnis für mich.
    Und als ich in der letzten Woche vor Tante Paulas Hochzeit den Troll in Denton Harkenfield endlich in all seinen ekelerregenden Einzelheiten zu sehen vermochte, konnte ich unmöglich plötzlich anfangen, von Monstern zu erzählen, die sich als Menschen tarnten. Niemand hätte mir geglaubt. Sie müssen nämlich wissen, daß die Verläßlichkeit meiner gelegentlichen Visionen zwar nicht bezweifelt wurde, daß es aber viele Leute gab, die meine ungewöhnlichen Gaben nicht als einen Segen betrachteten. Obwohl nur selten erwähnt und angewandt, stempelten meine übersinnlichen Fähigkeiten mich als ›seltsam‹ ab, und manch einer der Talbewohner glaubte, daß Seher zwangsläufig geistig labile Menschen seien. Nicht wenige Leute haben meinen Eltern gesagt, sie müßten mich genau beobachten, um die ersten Anzeichen von Autismus oder Wahn nicht zu übersehen, und obwohl meine Eltern für solches Gerede nichts übrig hatten, war ich überzeugt davon, daß auch sie gelegentlich befürchteten, meine Gabe könnte sich als Fluch erweisen. Die Verknüpfung von seherischen Fähigkeiten und geistige Labilität ist in der Volksüberlieferung so stark ausgeprägt, daß sogar meine Großmutter, die in meinen Zwielicht-Augen einen Grund zur Freude und einen Segen sah, manchmal befürchtete, ich könnte irgendwie die Kontrolle über meine Gaben verlieren, die sich dann sozusagen gegen mich richten und mich vernichten würden. Hätte ich damals, wenige Tage vor Tante Paulas Hochzeit, plötzlich etwas von Trollen erzählt, die sich in menschlichen Körpern verbargen, so hätte das die Ängste all jener verstärkt, die sicher waren, daß ich eines Tages in einer Gummizelle landen würde.
    Ich zweifelte mitunter sogar selbst an meiner geistigen Gesundheit. Der Volksglaube war mir bekannt, und ich hatte auch einige der Warnungen an meine Eltern gehört, und als ich anfing, die Trolle zu sehen, fragte ich mich, ob ich allmählich den Verstand verlor.
    Hinzu kam noch, daß ich mich zwar intuitiv vor dem Troll in Denton Harkenfield fürchtete und den intensiven Haß spürte, der diese Kreatur motivierte, aber keine konkreten Beweise dafür hatte, daß sie Tante Paula, Kerry oder sonst jemandem etwas zuleide tun wollte!

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