Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David R. George III
Vom Netzwerk:
Luft, und Vaughn stand da und starrte sie reglos an. Prynns sanfte Züge widersprachen den grauenvollen Verletzungen, die ihr zugefügt worden waren.
    Er musste weg hier, weg und zur Konsole, die sie eben noch bedient hatte. Prynn war tot, aber der Rest der Besatzung würde leben, wenn es ihm gelang, seine Emotionen zu unterdrücken und sich auf die Defiant zu konzentrieren.
    Doch da war keine Flugkontrollkonsole. Keine Defiant . Keine Besatzung, keine Angreifer. Also kauerte er sich einfach hin, neben Prynn, und streckte den Arm nach ihr aus. Kurz vor ihr hielt er inne, entsann sich des Vergangenen. Als er die Hand umdrehte und keine Brandspuren sah, war er erleichtert.
    Hier ist kein Steuer, an dem ich mich verbrennen könnte , dachte er, doch der Satz glitt wie Nebel durch seinen Geist – da im einen Moment, fort im nächsten. Wieder streckte Vaughn den Arm aus, be-rührte Prynns Schulter. Der Stoff ihrer Uniform, der reglose Körper darunter … Es wirkte so real und konnte es doch nicht sein.
    Vaughn tauchte zwei Finger in das flüssige Rot auf ihrem geschundenen Bauch. Als er sie zurückzog, klebte Blut an ihnen. Das Blut seiner Tochter. Die Erkenntnis war wie ein Schlag in die Magengrube. Wut, Schmerz und Schuldgefühle stürzten auf ihn ein.
    Warum tust du das? , fragte er sich. Warum durchlebst du das erneut?
    Er spürte, dass es nicht real war. Er war nicht sechs Wochen in die Vergangenheit gereist, und der Moment nicht zu ihm in die Gegenwart. Und ohnehin hatte Vaughn keine Zeit für ihn. Die Mission ging vor.

    Er stand auf und sah auf seine Tochter. Sah neben sie. Unter ihr lag der altvertraute Boden, ein hellgrauer Teppich, doch weiter weg verblasste er und wurde wieder zu der Straße, die in die Ferne führte.
    Über diesen toten, tödlichen Planeten. Vaughn stand auf ihr, und doch gleichzeitig auf der Brücke der Defiant , gleich neben dem Platz des Kommandanten. Obwohl er wusste, dass Prynn nicht sterben würde – nicht gestorben war – und all dies nicht real sein konnte, trauerte er um sein Kind. Er spürte die vertraute Wut und den Schmerz, das erdrückende Schuldgefühl, und er fragte sich, wie es erneut so weit hatte kommen können.
    Es ist nicht echt , rief er sich zur Ordnung. Prynn starb nicht – fast –
    schon wieder. Genauso wenig wie Ruriko.
    Endlich kehrte er ins Jetzt zurück. Auf den leeren Planeten, von dem aus die Wellen der Zerstörung in Richtung der Vahni ausgegangen waren. Er betrachtete die Ödnis ringsum und schaffte es, sich von dem Trugbild der Defiant vor sich loszureißen. Doch als er abermals auf seine Finger sah, war das Blut noch da. Sofort blickte er zurück – nicht in der Erwartung, sondern in der Hoffnung, dass das Bild verschwunden sein würde. Doch noch immer war der Aus-schnitt der Brücke inmitten der Straße zu sehen.
    Vaughns Gedanken überschlugen sich bei dem Versuch, Sinn in diese Eindrücke zu bringen. In diese Erfahrungen und Gefühle. Real und erklärbar oder nicht, seine Empfindungen waren wahr und nicht nur Echos des Vergangenen. Tiefe Trauer hielt ihn umklammert. Prynn war nicht gestorben, doch in diesem Moment fühlte er sich wie damals, als er von ihrem Tod überzeugt gewesen war.
    Vaughn fühlte sich gefangen, eingekesselt von seiner eigenen Traurigkeit. Längst hatte er jegliches Zeitgefühl verloren und konnte kaum noch Gedanken fassen, die nicht direkt mit seinem Schmerz zusammenhingen. Alles um ihn herum war langsamer geworden, als sollte dieser grauenvolle Moment niemals enden.
    Ist es das, worum es hier geht? , zwang er sich zu folgern. Ein Versuch, ihn auszubremsen, bevor er den Impuls erreichte und abschal-tete? Und wenn, hätte ein Phaserschuss oder selbst ein gut gezielter Steinwurf nicht den gleichen Effekt erzielt?

    Vaughn wollte sich von dem Schauspiel vor seinen Augen abwen-den, schaffte es aber nicht. Lange Momente stand er kämpfend da.
    Dann forderten die Kilometer, die unter seinen Stiefelsohlen verstrichen waren, ihren Tribut, und die Müdigkeit übermannte ihn. Nach anderthalb Tagen der Anstrengung schloss er die Augen.
    Der Schmerz blieb, doch ohne Prynns Körper vor Augen fand er die Stärke, sich seines alten Mantras zu erinnern und seine Emotionen unter Kontrolle zu bringen: Du hast eine Aufgabe.
    Vaughn drehte sich um und öffnete die Augen wieder. Vor ihm lag die leere Straße. Also ging er los.
    Der Himmel neigte sich herab. Vaughn sah, wie etwa zwei Kilometer weiter Wolken umherwirbelten, und eine Art Tornado

Weitere Kostenlose Bücher