Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
hereinkam. Der Wagen flehte geradezu darum, gestohlen zu werden. Es war viel zu leicht. Adam schob seine Finger in den Spalt und drückte die Scheibe so weit herunter, dass er mit dem Arm hindurchgreifen und das Schloss öffnen konnte. Er setzte sich auf den Fahrersitz und zog einen Schraubendreher aus der hinteren Hosentasche, den er sich aus dem herumliegenden Werkzeug neben dem DJ-Pult im Klub gegriffen hatte.
Als er gerade den Schraubendreher in das Zündschloss schob und wie einen Schlüssel herumdrehte, klingelte sein Mobiltelefon. Der Wagen sprang augenblicklich an.
Adam nahm das Gespräch entgegen. »Thorne«, meldete er sich genau wie sein Bruder.
»Er will dich treffen«, sagte Jacob ohne Umschweife.
Gut . »Wo?«
»Komm hoch zum Haus. Wir machen einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit.« Jacobs Stimme klang ganz euphorisch vor lauter Sarkasmus. Diesmal legte sein Bruder einfach auf.
Es war sechs Jahre her, dass Adam zum letzten Mal die zweieinhalb Stunden durch den sommerlichen Verkehr nach Southampton zurückgelegt hatte. Zu jener Zeit war der Verkehr extrem lästig gewesen – er hatte Besseres zu tun gehabt, als dem Wunsch seiner Mutter zu folgen, die wegen irgendwelcher Schwierigkeiten mit Jacob ein Treffen einberufen hatte. Welche Schwierigkeiten sollte Jacob, ein hervorragender Geschäftsmann und Lieblingssohn der Familie Thorne, schon haben? Für Jacobs Ehrgeiz und Ego war kein Problem unüberwindbar.
Ehrgeiz und Ego, das war genau das Problem.
Jetzt kam er schnell voran, nachts waren nur wenige Autos auf den Straßen, und der Verkehr floss zügig. Adam raste aus der Stadt in die Vergangenheit. Am Rand seines Gesichtsfeldes nahm er unscharf den Grünstreifen des Sunrise Highway wahr, während er dem Wiedersehen mit seinem Bruder immer näher kam.
Nein, nicht mit seinem Bruder. Sein Bruder war tot.
Plötzlich befand sich Adam auf der Gin Road, der schmalen Straße mit den hohen Mauern und Hecken, hinter denen New Yorks Elite die Sommermonate verbrachte. Weder er noch sein Bruder würden jemals wieder an einer der festlichen Partys teilnehmen.
Das Tor zum Haus der Thornes öffnete sich, bevor Adam überhaupt seine Ankunft ankündigen konnte. Er fuhr die Kiesauffahrt hinauf, die zu dem Anwesen am Strand führte. Im Haupthaus brannte Licht, alle Zimmer waren hell erleuchtet, sodass die beeindruckende Silhouette des Sommerhauses vor dem dunklen Nachthimmel leuchtete.
Das Zeichen signalisierte deutlich: keine Schatten erwünscht. Nur Leben.
Jacob war zu Recht misstrauisch.
Bevor Adam den Wagen in der herrschaftlichen Auffahrt parkte, holte er das Röhrchen mit den L-Pillen aus der Hose und schob eine in seinen Mund, um sie in der Backentasche bereitzuhalten. Durch die Gummierung war er geschützt, bis er dem Dämon vorgestellt wurde. Dann würde er sie schnell mit den Backenzähnen zerbeißen. Der Tod war zwar nicht angenehm, aber es würde relativ schnell gehen.
Kurz zog sich Adams Herz zusammen, es war ein letztes Aufbäumen gegen seinen geplanten Abgang, aber dann dachte er an Talia. Er würde nicht zulassen, dass sie wie Custo verblutete und zugrunde gerichtet wurde. Nicht, wenn er es verhindern konnte.
Adam stieg aus dem Wagen und begab sich zum Hauseingang.
Es war ein Déjà-vu. Nach sechs Jahren war er zum Ausgangspunkt zurückgekehrt. Nach Hause.
Mom und Dad wollten, dass er etwas unternahm. Gut, nun würde Adam etwas unternehmen.
Vier Stufen führten zu der eleganten Eingangstür. So war Mom – elegant und formvollendet, selbst im Urlaub. Adam griff den Knauf und öffnete die Tür, jede Bewegung war ein Echo der Erinnerung an seinen letzten Besuch hier.
Nein. Dies war das letzte Mal, rief Adam sich ins Bewusstsein.
Der Eingangsbereich war weiß. Makellos. Anmutig. Ein Kronleuchter glitzerte, als würden verzauberte Regentropfen von ihm herabfallen. Darunter stand ein runder Marmortisch, den Mom mit einer Schale bunter Blumen geschmückt hätte, um die Kälte des Raumes aufzulockern. Dahinter befand sich das Wohnzimmer mit den Panoramafenstern zum schwarzen Ozean, erhellt von den erleuchteten Terrassen, die hinunter zum Strand führten. Alles befand sich an seinem Platz. In diesem Haus steckte so viel von Mom.
Und Jacob, der neue Herr und Gebieter über den Sommersitz der Familie Thorne – wo war er?
»Hier«, rief Jacob.
In Dads Arbeitszimmer, in dem Jacob ihren Vater umgebracht hatte.
Adam ging den langen Flur hinunter auf die Glastüren zu, die zu Dads
Weitere Kostenlose Bücher