Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
Monate lang geschafft, den Geistern zu entkommen. Da würde sie damit auch zurechtkommen.
Sie schloss sich in ihrer neuen Behausung ein, denn das Gefühl, dass etwas Übernatürliches geschehen würde, überlief ihren Körper wie das Krabbeln von Spinnen auf ihrer Haut. Sie litt Höllenqualen, wartete mit angehaltenem Atem und zuckte bei jedem Geräusch zusammen (die verdammte Lüftung ratterte jedes Mal, wenn die Klimaanlage ansprang), bis die Erschöpfung Talia schließlich übermannte.
Als sie am Morgen erwachte, brannte die Nachttischlampe über ihrem Kopf. Auf Talias Stirn hatte sich ein Schweißfilm gebildet, ebenso im Nacken unter ihren dichten Haaren, die sie unbedingt mit einem Gummiband zusammenbinden musste. Sie schälte sich aus den zerwühlten Laken und tappte blind aus dem Raum.
Während sie schlaftrunken durch das Zimmer wankte, dröhnte ein Ha! in ihr Bewusstsein. Geister, na sicher. Der Mann hatte eindeutig zu viel Zeit mit seinem Bruder verbracht. Bei dem Treffen, bei dem sie heute Nachmittag den anderen Teammitgliedern vorgestellt werden sollte, würde sie ihm das sagen. Der Gedanke trieb ein zufriedenes Kribbeln durch ihren Körper.
Das Wohnzimmer wirkte im Licht des anbrechenden Tages schon viel freundlicher. Ein dunkelrotes rechteckiges Sofa stand gegenüber von einem breiten Flachbildfernseher, der an der Wand über dem Kamin angebracht war. Zwei Holzscheite lagen in einem geflochtenen Korb auf dem Boden, als wenn ihr nicht so schon heiß genug gewesen wäre. Auf beiden Seiten standen hohe Bücherregale, so gut wie leer. Allerdings hatte jemand, der offenbar schwarzen Humor besaß, das Buch Shining dort gelassen, damit es ihr in der ersten Nacht in dem spukenden Hotel Gesellschaft leistete. Sehr witzig.
An der Eingangstür ertönte ein Summer.
Talia lief zur Tür, wobei sie mit der Hand ihre Haare ordnete und das T-Shirt über die Trainingshose zog, in der sie geschlafen hatte. Sie wünschte, sie wäre als Allererstes ins Badezimmer gegangen. Nun war es zu spät.
Sie spähte durch den Spion in der Tür. Das Gesicht einer Frau tauchte in ihrem Blickfeld auf.
Talia öffnete die Tür und verschränkte die Arme, um zu kaschieren, dass sie keinen BH trug.
»Guten Morgen«, sagte die Frau. »Ich bin Gillian Powell. Ich gehöre zu den Ärztinnen im Team.« Sie streckte ihr einen Stapel Kleidung in Blau- und Lilatönen mit einem Schuss aufsehenerregenden Pinks entgegen, der von einem Paar Sportschuhen gekrönt wurde.
Ein Gefühl von Angst sammelte sich in Talias leerem Magen. Die sind hoffentlich nicht für mich.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, erwiderte sie. »Ich bin Talia O’Brien.«
»Ich weiß. Ich bin so froh, dass Sie hier sind«, erklärte Gillian. »Segue ist ein solcher Männerverein. Wir haben Vera im Labor und Priya in der Forschung und natürlich Mama Pat, aber das sind auch schon alle.«
Gillian war vermutlich Mitte vierzig und kämpfte offenbar mit jedem Jahr. Kompakte Figur mit großer Oberweite. Ihr Gesicht war sehr sorgfältig und perfekt geschminkt, wobei sie so viel Make-up aufgetragen hatte, dass man ihre natürliche Hautfarbe darunter nicht mehr erkennen konnte.
Gillian ging an Talia vorbei, um die Kleidung auf dem Sofa abzuladen. »Adam hat mich gebeten, Sie heute Morgen für das Geistertraining auszustatten.« Sie machte ein sauertöpfisches Gesicht. »Schön für Sie.«
Ja. Ganz toll . Talia hatte gehofft, dass sie den Morgen für sich hätte, bevor am Nachmittag die große Vorstellungsrunde auf sie zukam. Aber so viel Glück war ihr ganz offensichtlich nicht beschieden.
»Ich glaube, ich habe alles, was Sie brauchen.« Gillian blickte auf Talias vergleichsweise kleine Brüste. »Die Größe sollte passen … zumindest so einigermaßen.«
Talia räusperte sich. »Was genau bedeutet denn Geistertraining?«
»Das sind die Grundregeln der Verteidigung. Wir müssen alle einmal im Monat trainieren, aber wir geben ein ziemlich jämmerliches Bild ab. Die meisten von uns gehören ins Haus, in einen Kittel.«
Talias Magen knurrte. »Was ist mit dem Frühstück? Ich hatte noch keine Gelegenheit einzukaufen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Marcie, die Köchin hier in Segue, ist großartig. Sagen Sie ihr einfach, was Sie mögen, und Sie bekommen es. So müssen Sie sich auch nicht um den Abwasch kümmern. Wir gehen auf dem Weg nach unten dort vorbei.«
»Trainieren Sie heute auch?« Talia griff nach der Kleidung. Das schrille Pink passte nicht zu ihr.
»Nein.
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