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Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kellison
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losging, griff ich den Schürhaken. Aber es war zu spät.«
    Talia wimmerte.
    »Doch als er auf mich losging, zielte ich damit auf seine Augen. Ich hatte Glück. Auch Geister brauchen Augen, um zu sehen. Nachdem ich ihm das Augenlicht genommen hatte, habe ich ihn auf unserem Grundstück in einen Betonkeller gesperrt – und dann auf ihn geschossen.«
    Erneut ergriff die panische Angst jener Zeit Adam und krampfte seinen Magen zusammen. Das erste Mal, dass er die Waffe auf seinen Bruder gerichtet hatte, der plötzliche Knall, das rauchende Loch direkt links von der Mitte in Jacobs Stirn. Wenn Adam sich in einem Schatten hätte verstecken können, hätte er das vermutlich auch gern getan.
    »Ich kann Jacob noch immer hören. Der Schattenmann kriegt mich nicht . Er hat unsere Eltern getötet, und es war für ihn nur ein Spiel.«
    »Das muss grausam gewesen sein. Sie haben sie geliebt«, sagte sie mit bekümmerter Miene. Sie wehrte sich nicht mehr und senkte stattdessen den Kopf, sodass ihre Stirn sein Kinn berührte. »Der Schmerz über ihren Verlust bleibt für immer, stimmt’s? Er ist immer da, bei allem, was Sie tun. Sie machen immer weiter. Für sie.«
    Jetzt hatte sie ihn also verstanden. »Ich muss. Ich kann nicht aufhören, bis es vorbei ist. Bis Jacob tot ist.«
    »Aber das ist nicht mein Kampf.«
    Sie verlangte nach der Wahrheit und sollte sie erfahren. »Es ist unser aller Kampf. Der Kampf der ganzen Welt. Das wissen die meisten nur noch nicht. Abgesehen davon ist ein Wissenschaftler doch immer auf der Suche nach Antworten. Wenn das für Ihr Forschungsgebiet nicht der Fall überhaupt ist, weiß ich es auch nicht.«
    Verzweifelt ließ er die Arme sinken. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und versank in Schatten.
    »Wieso haben Sie keine Angst vor mir?«, fragte sie. »Ich könnte genauso grausam sein wie Jacob dort drinnen.«
    Aha, das war ihre ständige Angst . Sie hatte genauso viel Angst vor sich selbst wie vor Jacob. Allein deshalb war sie nicht bedrohlich. Jacob liebte sein inneres Monster und genoss es.
    Adam seufzte. »Das glaube ich nicht. Sie haben genauso viel Angst vor den Geistern wie ich. Sie haben versucht, mir in der Gasse das Leben zu retten. Sie waren nett zu Patty trotz ihrer Wut auf mich. Und hier stehen wir in meiner ganz persönlichen Hölle, und Sie finden es genauso furchtbar wie ich. Ich glaube, Sie sind nicht gefährlich. Außerdem schätze ich, dass wir einiges gemeinsam haben.«
    »Ich weiß nicht, was ich tun kann, um Ihnen zu helfen.«
    »Lassen Sie uns den Schattenmann suchen«, drängte Adam. »Er hat Antworten für uns beide.«
    Jacob kreischte; Adam schöpfte Hoffnung. Zumindest lag der Schlüssel direkt vor ihm.
    In der Dunkelheit tastete er nach Talia und stieß genau dort gegen ihre Halsbeuge und ihr Kinn, wo er sie zurückgelassen hatte. Die Schatten wichen aus seinem Sichtfeld. Tränen liefen über Talias gerötete Wangen. Er musste sie zurück ins Bett bringen, und zwar schnell.
    »Hören Sie auf ihn. Hören Sie auf Jacob.«
    Sein Bruder jaulte rhythmisch, es war ein leises, gruseliges Geräusch.
    »Gemeinsam können wir die Geister aufhalten. Zuallererst meinen Bruder. Lösen Sie sich aus den Schatten, sehen Sie in sein Gesicht.«
    »Ich will das nicht. Überhaupt nicht.«
    »Ich auch nicht. Wenn das alles vorbei ist, gönnen wir uns einen schönen langen Urlaub. An irgendeinem weit entfernten Ort.«
    Ihre schwarzen Augen füllten sich mit Tränen. Ein Augenblick verstrich.
    »Ich würde für mein Leben gern die Pyramiden sehen«, sagte sie erschöpft mit belegter Stimme.
    »Ägypten. Ja.«
    »Vielleicht die Chinesische Mauer.« Eine dicke Träne lief ihre Wange hinunter.
    Adam lachte und wischte sie fort. »Und China.«
    »Den Eiffelturm?« Sie hob einen Mundwinkel, und noch mehr Tränen liefen ihre Wangen hinunter.
    »Paris. An Silvester, wenn die ganze Stadt strahlt«, versprach er. »Kommen Sie raus, Talia.«
    Die Schatten lösten sich auf. Jacobs Schreien wurde lauter. Talias Blick glitt zu dem Bildschirm, sie starrte auf Jacobs unmenschlichen Kiefer, der besser zu einem Hai oder Piranha oder einer Schlange mit Reißzähnen gepasst hätte.
    Der Wachmann klammerte sich verzweifelt an den Tresen, Schweiß lief an seiner Schläfe hinunter.
    Talia zitterte und hatte die großen dunklen Augen in ihrem geisterhaften Gesicht weit aufgerissen. »Wo fangen wir an?«



6
    Talia entschied sich für die Wohnung im Westflügel, Spuk mit Aussicht. Sie hatte es zwei

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